Archiv der Kategorie: Erziehung

Zappelhunde Lesung in Kiel

 

Am 17. Juni 2014 werde ich ab 18.30 Uhr in Kiel aus meinem neuen Buch „Zappelhunde“ lesen. Die Lesung findet in den Räumen der Kieler Tiertafel in der Friedrichsorter Str. 3 statt.

In dem Buch geht es um hyperaktive Hunde, um nervöse und hibbelige Hunde, um Hunde mit Konzentrationsschwierigkeiten, Impulskontrollstörungen und mangelnder Frustrationstoleranz. Es geht um Ursachen und um Mittel und Wege, mit so einem Hund auf vernünftige Art und Weise umzugehen.

Es geht auch darum, wie man es nicht machen sollte und welche Fehler es zu vermeiden gilt.

Ich erzähle von meinem eigenen Hund und von Hunden, die ich im Training hatte. Ich zeige Lösungsmöglichkeiten auf, aber sage auch, wo das Training Grenzen hat.

Das Buch ist sowohl für Besitzer hyperaktiver Hunde spannend, als auch für Hundebesitzer, die mit anderen Verhaltensauffälligkeiten ihrer Hunde zu kämpfen haben. Aber auch „Otto-Normal-Hund“ kann durchaus von einigen Tipps profitieren. Fragen dürfen natürlich gestellt werden.

Der Eintritt zur Lesung kostet 5 Euro, er wird in vollem Umfang der Kieler Tiertafel gespendet, in deren Räumlichkeiten die Lesung stattfindet.

Ich bitte um kurze Voranmeldung bei mir. Ich freue mich schon darauf, viele interessierte Zuhörer begrüßen zu dürfen.

Zappelhunde ist jetzt im Handel erhältlich

 

ZappelhundeMein neues Buch Zappelhunde – Vom Leben mit überaktiven Hunden ist nun endlich überall im Handel erhältlich.

Ich freue mich schon auf die Lesungen am 22. Mai 2014 in Bad Bevensen und am 17. Juni 2014 in Kiel.

Es werden bestimmt zwei sehr spannende und lustige Abende mit reichlich Zeit für Fragen und Diskussionen.

Für beide Veranstaltungen sind noch Plätze frei, weitere Anmeldungen sind möglich.

Der Eintritt in Höhe von 5 Euro wird jeweils in voller Höhe dem Tierschutz gespendet.

Weitere Infos hier auf meiner Homepage.

 

Hundetraining im Fernsehen

Wer als Hundeverhaltensberater tätig ist, sollte sich eigentlich die gängigen „Hundeflüsterer/in“-Sendungen im Fernsehen regelmäßig anschauen. Nicht etwa weil die so toll wären, sondern allein um zu wissen, wovon die Kunden sprechen, wenn sie in der Beratungsstunde die letzte Sendung von Trainer/in Sowieso erwähnen. Ich weiß, ich sollte mir möglichst alle diese Fernsehformate häufig ansehen, um Antworten zu haben, wenn ich nach den angewandten Methoden gefragt werde.

Aber ich ertrage es einfach nicht, wie diese Serien – sender- und trainerübergreifend – aufgemacht sind.

Es geht immer gleich los: Zuerst wird der Trainer, natürlich mit der entsprechenden Musik und hübschen Bildern untermalt, als eine Art Wunderheiler vorgestellt.

Dann wird ein Hund gezeigt, der extra für die Sendung enorm gestresst und provoziert wurde, damit er auch die gesamte Palette des Aggressionsverhaltens der Kamera zeigt. Oftmals verhalten sich Menschen dem Hund gegenüber bedrohlich, und dieser flippt natürlich aus, weil er angesichts der aufregenden Situation mit den Nerven am Ende ist. Währenddessen erklingt eine düstere Musik, und ein Sprecher oder eine Sprecherin bezeichnen den Hund als Bestie und tickende Zeitbombe.

Spätestens jetzt muss ich oftmals schon wieder ausschalten, denn allein diese Art der Darstellung und die grundlose Provokation des Hundes machen mich so unglaublich wütend, dass ich gar nicht in der Lage bin, mich auf das Folgende zu konzentrieren.

Schaffe ich es wider Erwarten doch hin und wieder einmal, mir die Sendung weiter anzuschauen, dann ist es im weiteren Verlauf oft der Trainer oder die Trainerin, der/die den Hund erneut so stark provoziert, dass er aggressiv reagieren muss. Alles für die Kamera, damit der Trainer/die Trainerin auch noch einmal dem Publikum bestätigen kann, dass es sich bei dem Hund wirklich um eine reißende Bestie handelt. Aber Gott sei Dank ist jetzt der Wunderheiler-Trainer da. Der Hund ist inzwischen nervlich so am Ende, dass er mit Sicherheit glaubt, alle Menschen wollten ihn umbringen. –  Und wohlgemerkt, das wird natürlich grundsätzlich als gewaltfreies und effektives Training verkauft!

Jetzt spätestens ist es für mich wirklich so weit, dass ich umschalten muss, denn zu sehen, wie der Hund hier auch noch für das werte Publikum gequält und seine Ängste durch den Wunderheiler-Trainer verstärkt werden, macht mich einfach nur fertig. Gibt es nicht auch ohne Tierquälerei schon genug Action im Fernsehen? Ist es wirklich notwendig, hier einen Hund zum nervlichen Wrack zu machen, nur damit alle sehen, wie „bissig“ er ist? – Nach dieser Sendung wird er es vermutlich wirklich sein …

Manchmal, wenn ich einen wirklich guten, nervenfesten Tag habe, bin ich in der Lage, mir die Sendung bis zum Ende anzusehen. In der Regel gibt es nach zahllosen Provokationen, dem Spritzen mit Wasser, dem Werfen von Schepperdosen, dem Würgen des Hundes oder anderen Maßnahmen, von denen die meisten das Problem des Hundes verstärken, dann eine wundersame „Heilung“. Diese „Heilung“ stellt sich so dar, dass der Hund meist in Zeitlupe gefilmt wird, was seine Bewegungen viel ruhiger erscheinen lässt, das Ganze im Sonnenschein und mit wunderschöner, harmonischer Musik untermalt. Dem Zuschauer wird ein Happy End suggeriert, auch wenn sich bei genauem Hinsehen am Verhalten des Hundes überhaupt nichts geändert hat. Er hat immer noch dieselben Probleme wie zuvor, nur vermutlich noch eine Spur stärker, aber für die Schluss-Szenen wird er natürlich nicht extra provoziert, sondern da lässt man ihn nun endlich in Ruhe. So bekommt man dann auch ganz einfach einen Hund, der kein Aggressionsverhalten zeigt – denn endlich hat er mal keinen Grund mehr, sich zu verteidigen. Eine wirkliche Lösung ist nicht in Sicht, aber dem Zuschauer wird mit diversen filmischen Mitteln auf einfache Weise ein Heile-Welt-Gefühl suggeriert. Bei dieser Musik kann schließlich kein Hund mehr aggressiv sein …

Das Schlimmste an diesen Sendungen ist, dass so viele Leute den Unsinn, der da erzählt wird, tatsächlich glauben und das an ihrem eigenen Hund ausprobieren. Die Hunde entwickeln reihenweise Ängste und zum Teil sogar massive Verhaltensprobleme, nur weil ihre Besitzer vollkommen gedankenlos die „Methoden“ aus den Hundetrainer-Serien anwenden. Damit tragen die Fernsehsender eine riesige Verantwortung. Viele dieser Sendungen sind durchaus tierschutzrelevant, weil durch ein Nachmachen der gezeigten Methoden vor allem bei sensiblen Hunden erhebliches Leid verursacht werden kann.

Da ein wirklich gutes und effektives Hundetraining eben keine Aggressionen provoziert, sondern unterhalb der Reaktionsschwelle ansetzt und somit für Außenstehende sterbenslangweilig aussieht, wird es mit Sicherheit keine tollen Einschaltquoten erzeugen. Daher bin ich der Meinung, dass das Hundetraining im Fernsehen überhaupt nichts zu suchen hat. Warum konzentrieren wir uns nicht lieber auf belanglose Themen, die weder Mensch noch Tier wehtun? Es gibt doch genug, worüber man sonst noch berichten kann.

(Inga Jung, April 2014)

Die Leckerli-Frage

Im Hundetraining gibt es viele Überzeugungen und viele Methoden – und oftmals steckt auch in den absurdesten Trainingsmethoden ein klitzekleiner wahrer Kern, ein bisschen Sinn, der sich krampfhaft hinter den Dogmen zu verstecken versucht. Das Problem mit den Methoden ist nur, dass sie die Tatsache außer Acht lassen, dass Hunde und Menschen individuell sind.

Methoden sind zu starr, zu unflexibel, um bei jedem Mensch-Hund-Team funktionieren zu können. Es ist daher schlicht nicht sinnvoll, von vornherein zu sagen: „Ich mach das jetzt so und nicht anders. Denn so ist es richtig.“ Denn man muss immer schauen, was für einen Hund man hat und was für ein Mensch man selbst ist. Und dann gilt es herauszufinden, was diesem Team gut tut. Denn Hundetraining muss gut tun, sonst ist es nicht zielführend. Es muss sowohl dem Hund als auch dem Menschen sinnvoll erscheinen und Spaß machen. Nur was diesem speziellen Hund und diesem speziellen Menschen sinnvoll erscheint und Spaß macht, das ist eben sehr individuell.

Eine dieser starren Methoden ist der grundsätzliche Verzicht auf Futterbelohnungen. Als ich noch in der Welpengruppe ausgeholfen habe, lernte ich eine Frau kennen, die komplett jegliche Futterbelohnung ihres Hundes verweigerte. Und das nicht etwa, weil ihr Hund nichts fressen wollte (das hätte ich verstanden). Nein, sie hatte irgendwo gehört, dass ihr Hund nicht für sie arbeiten würde, sondern nur für das Futter, wenn sie ihn damit belohnen würde, und das wollte sie nicht. Sie wollte, dass ihr Hund alles nur für sie tut, für Frauchen, den Mittelpunkt seiner Welt.

Selbstverständlich funktionierte das überhaupt nicht, denn es handelte sich um einen Welpen, und die beiden kannten sich erst seit einer Woche. Der Hund hatte noch keine wirkliche Bindung zu seiner Besitzerin aufgebaut, denn die fällt schließlich nicht vom Himmel, und für ihn war alles andere interessanter als die Frau, die ihn an der Leine führte. Hier prallte eine romantische Vorstellung von einem Hund, der auf die Welt kommt und sofort seinen Menschen anhimmelt und allein aus diesem Grund mit Freude jedes Kommando für ihn ausführt, schlicht und ergreifend auf die harte Realität.

Sicher gibt es auch andere Möglichkeiten, einen Hund zu belohnen, aber in vielen Situationen ist Futter, begleitet von verbalem Lob, die beste Variante, um das Training positiv aufzubauen und den Hund zum Weitermachen zu motivieren.

Auch wenn ein Hund sich zu Hause noch so gern streicheln lässt, wird ihn das in einer Lernsituation wahrscheinlich eher stören.

Und Spielzeug fördert die Aufgeregtheit des Hundes – etwas, das manchmal okay sein mag, aber bei konzentrierter Arbeit können wir das gar nicht gebrauchen.

Manchmal kann man mit funktionalen Verstärkern arbeiten (also dem, was der Hund gerade möchte), aber das geht auch nicht immer.

Das bedeutet: Futterbelohnung ist in manchen Situationen – gerade wenn es darum geht, etwas Neues zu lernen – absolut angebracht. Man sollte es aber nicht übertreiben und für seinen Hund zum wandelnden Futterautomaten werden. Eine Belohnung wird vom Hund nur als eine hochwertige Belohnung empfunden, wenn er sie nicht alle paar Minuten fürs bloße Rumstehen und Pupsen bekommt, sondern als direkte Folge bestimmter Handlungen.

Je fortgeschrittener ein Hund in seiner Ausbildung ist, desto seltener muss er mit Futter belohnt werden – auch hier muss wieder der ganz individuelle Charakter des Hundes beachtet werden; der eine braucht ein bisschen mehr Motivation als der andere. Ein lobendes Wort als Anerkennung guten Verhaltens ist dagegen immer und bei jedem Hund angebracht und wichtig.

Ich selbst habe immer Leckerlis dabei, auch wenn meine Hunde das eigentlich im Alltag nicht „brauchen“. Der Grund ist einfach: Wir leben in einer sehr wildreichen Gegend, und es kann jeden Tag passieren, dass in unserer unmittelbaren Nähe plötzlich ein paar Rehe oder Hasen weglaufen. Bleiben meine Hunde bei mir und starten keinen Versuch hinterherzurennen, dann ist das eine großartige Leistung, die eine ungeheure Selbstbeherrschung erfordert. Diese Leistung muss ich entsprechend anerkennen.

Hätte ich in so einem Moment nur ein lapidares „Gut gemacht“ für meine Hunde übrig, dann würden sie sich das Ganze beim nächsten Mal sicher anders überlegen. Nein, in so einer Situation muss der Jackpot her!

Eine starke Leistung muss auch großartig belohnt werden. Wenn da zu wenig kommt, dann wird sich jeder Hund das nächste Mal deutlich weniger anstrengen. Wozu denn auch? Dem Menschen scheint es ja egal zu sein.

(Inga Jung, Februar 2014)

 

Wenn Hunde stärker als beabsichtigt zubeißen – ist oft der Mensch schuld

In einer lockeren Runde mit Freunden und Kollegen kommen häufig Hundethemen auf, denn den meisten ist bekannt, dass ich als Hundeverhaltensberaterin unterwegs bin. Dabei werde ich oft mit Thesen und Theorien konfrontiert, die von anderen Hundetrainern geäußert oder – was selten gut ist – im Fernsehen aufgeschnappt wurden.

Vor einigen Wochen meinte ein Kollege, er sei auf einem Seminar über das Aggressionsverhalten von Hunden gewesen, und dabei sei erwähnt worden, dass Hunde grundsätzlich ganz genau wüssten, wie fest sie zubeißen, und dass es daher keinen unabsichtlichen Hundebiss gebe.

Das machte mich sehr nachdenklich. Ist das wirklich so?

Ich denke immer zuerst an meine eigenen Hunde, und da ist es doch häufig so, dass im Eifer der Emotionen auch mal ein bisschen stärker zugeschnappt wird als eigentlich beabsichtigt. Gerade wenn ich meinen Hunden mit Futter in der Hand dabei helfe, einigermaßen beherrscht an einer Katze vorbeizugehen, dann sind sie in der Regel so aufgeregt, dass sie es nicht bemerken, wenn sie statt des Futters meinen Finger erwischen oder auch mal etwas stärker zuschnappen als gewöhnlich.

Rufe ich „Aua“, dann lassen sie selbstverständlich sofort erschrocken los. Und in einer entspannten, ruhigen Situation ist ihnen das noch nie passiert, denn da sind sie dann auch wirklich in der Lage zu kontrollieren, wohin und mit welcher Kraft sie beißen.

Also: Wissen meine Hunde immer ganz genau, wie fest sie zubeißen? Nein, das tun sie nicht.

 

Hinzu kommt noch eine weitere Tatsache: Hunde haben keine angeborene Beißhemmung, das heißt, sie wissen nicht von Geburt an, wie fest sie zubeißen dürfen, bis es ihrem Gegenüber wehtut.

Welpen lernen im Spiel miteinander, wann dieser Punkt erreicht ist. Wenn ein Welpe aufschreit und das Spiel beendet, war es zu heftig. Dann wird eine Pause gemacht und später weitergespielt.

Und auch wir Menschen sind in der Pflicht, dem Hundekind zu zeigen, wann die spitzen Welpenzähne uns wehtun, indem wir uns bemerkbar machen und das Spiel kurz unterbrechen. Und das müssen wir regelmäßig wiederholen, bis der kleine Hund gelernt hat, dass er mit uns sanft umzugehen hat.

Wenn wir diese wichtige Lernphase verpassen und unserem kleinen Hund alles durchgehen lassen, weil er ja so niedlich ist, dann wird er auch später davon ausgehen, dass wir sehr unempfindliche Wesen sind und er ruhig beherzt zubeißen kann. Dem Hund hierfür einen Vorwurf zu machen wäre völlig falsch, denn wir haben es ihm schließlich so beigebracht.

Ein Hund, der dem Menschen gegenüber keine ausreichende Beißhemmung erlernt hat, weiß schlicht und einfach nicht, wann er dem Menschen wehtut. Das muss dem Hund beigebracht werden, denn von alleine kommt er nicht darauf.

 

Kommen wir zurück zu emotional aufregenden Situationen, wie ich sie oben geschildert habe. Ich denke, das kann man getrost auf alle Hunde beziehen. Denn immer dann, wenn starke Emotionen und Ablenkungen eine Rolle spielen, sinkt die Fähigkeit zur Selbstkontrolle. Das ist ein ganz normaler physiologischer Vorgang.

Und schauen wir noch ein bisschen weiter über den Tellerrand. Wie sieht es denn mit unserer Rechtsprechung aus? Da heißt es doch auch, dass in besonderen, emotional sehr aufwühlenden und stressigen Situationen manchmal mildernde Umstände gelten. Das nennt man dann „Handlung im Affekt“. Vielleicht ist derjenige, der „im Affekt“ einen anderen erschlagen hat, gar nicht schuldfähig, weil er durch besondere innere und äußere Umstände heftiger zugeschlagen hat als eigentlich beabsichtigt.

Mit solchen Erwägungen haben unsere Gerichte täglich zu tun, in Bezug auf Menschen.

Aber wenn wir schon unseren Mitmenschen zugestehen, sich in manchen Situationen so wenig unter Kontrolle zu haben; und wenn wir das als Entschuldigung für übertrieben starke Handlungen akzeptieren – es muss ja nicht gleich ein Mord sein –, dann finde ich es ganz schön überheblich, von unseren Hunden zu verlangen, dass sie all ihre Handlungen grundsätzlich im Griff haben sollten.

Denn das würde bedeuten, dass wir Menschen von einem Tier, das weniger rational und weniger vorausschauend denkt als wir, mehr Rationalität und Voraussicht erwarten als von uns selbst.

Für uns nehmen wir in Anspruch, im Affekt handeln und auch mal heftiger als gewollt reagieren zu dürfen. Unsere Hunde aber dürfen das nicht.

Affekthandlungen sind etwas, das man unwillkürlich tut. Über eine Affekthandlung denkt man nicht nach, sondern man handelt erst und überlegt sich danach erst, ob das gerade schlau war. Und genau das ist der Grund, warum wir von unseren Hunden nicht erwarten dürfen, dass sie sich jederzeit komplett unter Kontrolle haben. Das können sie gar nicht, es wäre schlicht und einfach zu viel verlangt.

Wir Menschen sind in der Lage, Situationen vorherzusehen. Wir können vorausschauend handeln. Und wir müssen das auch tun, wenn wir mit unseren Hunden zusammen sind.

Das heißt:

Wenn ich einen jagdbegeisterten Hund habe, dann muss ich mich darauf vorbereiten, dass er beim Anblick des Rehs, das in einiger Entfernung von uns über die Felder läuft, gleich ziemlich heftig reagieren wird.

Habe ich hingegen einen Hund, der sich schnell bedroht fühlt, und ich bringe ihn in eine bedrängte Lage, dann brauche ich mich ebenfalls nicht zu wundern, wenn er sich heftig verteidigt.

Wenn ich einen Hund habe, der im Spiel schnell überdreht und dann auch mal zuschnappt, dann darf ich ihn nicht so hochpushen. In dem Fall wäre ich selber schuld, wenn er in dieser Situation nach mir schnappt. Denn ich wusste, was ich tue, und ich habe mich meinem Hund gegenüber unfair verhalten, indem ich ihn so aufgedreht habe.

All das sind Dinge, die ich als Mensch beachten muss, damit mein Hund überhaupt in der Lage ist, sich zu beherrschen und nicht zu heftig zuzuschnappen. Das nennt man Fair Play.

(Inga Jung, Februar 2014)

Partnerschaft statt Kadavergehorsam

Als Hundetrainer lernt man viele unterschiedliche Menschen und ihre Hunde kennen, und es ist immer wieder spannend, das Zusammenspiel und die Dynamik des jeweiligen Mensch-Hund-Teams zu sehen. Dabei ergeben sich viele interessante, schöne und zuweilen auch kuriose Erlebnisse.

Hin und wieder kommt es vor, dass mich Menschen um meine Einschätzung bitten, weil sie der Meinung sind, ihr Hund sei fürchterlich stur. Ich bin immer gerne bereit, mir diese vermeintliche Sturheit einmal anzuschauen, denn jeder Hund ist anders und es gibt so viele verschiedene Charaktere, dass auch ich mich gern von neuen individuellen Ideen der Hunde überraschen lasse.

Wir sind also gemeinsam auf einem Spaziergang unterwegs und der Hundebesitzer verlangt von seinem Hund innerhalb einer knappen Stunde etwa dreißigmal in verschiedenen Situationen sich hinzusetzen. Der Hund wird immer zögerlicher und stellt am Ende seine Ohren komplett auf Durchzug – meiner Ansicht nach die erste sinnvolle Aktion, die ich auf diesem Spaziergang gesehen habe. Nun schaut mich der Hundebesitzer triumphierend an und meint: „Sehen Sie! Total stur!“

Auf meine vorsichtige Frage hin, warum der Hund sich denn andauernd setzen soll, schaut man mich zunächst völlig verständnislos an. Dann erhalte ich die Antwort, man habe in der Hundeschule gelernt, dass ein Hund sich an jedem Bordstein, an jeder Einfahrt, an jeder Ecke und zu zig anderen Gelegenheiten grundsätzlich hinzusetzen habe – selbstverständlich bei Regen, bei Schnee, im Matsch und bei allen sonstigen Wetterlagen.

Das reicht mir aber nicht als Erklärung und ich frage, wo denn der Sinn dahinter sei. Denn an der Straße hält ein vernünftiger Mensch seinen Hund ohnehin immer an der Leine, und dann genügt es doch, wenn er am Bordstein und an Einfahrten stehen bleibt. Hinsetzen ist eigentlich unnötig, erst recht bei der aktuellen ungemütlichen Wetterlage.

Und still und heimlich denke ich mir noch: Wenn ich ein Hund wäre, hätte ich vermutlich weniger Geduld mit meinem Menschen als dieses Exemplar hier, und ich würde schon nach dem zweiten sinnlosen Sitz-Kommando einen plötzlichen Anfall von Taubheit simulieren …

Daraufhin starrt man mich nur an. Ja, darüber hätte man noch gar nicht nachgedacht.

Ich finde es natürlich schön, wenn sich solche Verständigungsprobleme zwischen Hund und Mensch so einfach aufklären lassen und ich dazu beitragen kann, dass beide sich ein wenig besser kennenlernen. Aber doch machen mich solche Begebenheiten auch oft nachdenklich, denn ist es nicht bedenklich, dass in dieser Zweierkonstellation der Hund derjenige ist, der die Dinge kritisch sieht? Sollte es nicht eigentlich Aufgabe des Menschen sein, Verantwortung zu übernehmen und nicht alles unkritisch zu glauben, sondern sich eine eigene Meinung zu bilden?

Am schlimmsten finde ich es immer, wenn ich sehe, wie bei eiskalten Temperaturen sogar Hundesenioren, die ganz offensichtlich arge Gelenkschmerzen haben, noch eisern an jeder Straße gezwungen werden sich hinzusetzen. Wie unreflektiert und gefühlskalt kann man als Hundebesitzer sein, wenn man das vor Schmerzen angestrengte Gesicht des alten Hundes ignoriert und von ihm weiterhin alle paar Minuten ein Sitz verlangt, nur weil man das schließlich immer so gemacht hat?

Ich kann nur allen Hundebesitzern raten, nicht alles zu glauben, was sie lesen, im Fernsehen sehen oder auf der Hundewiese hören, sondern sich Gedanken zu machen, ob diese Erziehungstipps wirklich sinnvoll sind und ob sie ihrem Hund guttun. Das gilt natürlich vor allem für jede Form von Gewalt in der Hundeerziehung, die in aller Regel völlig unnötig ist. Aber es kann auch schon bei einem einfachen „Sitz“ anfangen.

Unsere Hunde sind Hunde und keine Soldaten. Sie müssen nicht jedem noch so sinnlosen Kommando gehorchen, sondern sie haben das Recht, auch mal zu protestieren. Wir alle wollen intelligente Hunde haben, aber wir ärgern uns, wenn sie ihre Intelligenz unter Beweis stellen. Wir sollten uns überlegen, was uns wichtig ist: Wollen wir einen Hund, der sich verhält wie eine Maschine? Oder wollen wir ein Lebewesen, das Gefühle zeigt, das aber auch einen eigenen Willen und manchmal wirklich überraschende eigene Ideen hat? Letzteres ist es doch, was die eigentliche Faszination am Leben mit dem Hund ausmacht. Wenn unsere Hunde keine Macken und keine lustigen Einfälle hätten, sondern immer nur nach unserer Pfeife tanzen würden, hätten wir doch nur halb so viele tolle Geschichten über sie zu erzählen.

(Inga Jung, Januar 2014)

Hundeverstand in Buch und Fernsehen

Ich lese gerade (Juli 2013) das Buch „Hundeverstand“ von John Bradshaw, das so tolle Kritiken bekommen hat – mit durchaus gemischten Gefühlen.

Einerseits finde ich es toll, dass er sich deutlich von den alten Rangordnungstheorien distanziert und ausdrücklich schreibt, dass das Zusammenleben mit dem Hund ganz und gar kein Machtkampf ist, sondern dass Hunde auf Kooperation aus sind und Schwierigkeiten im Zusammenleben mit ihnen in der Regel auf Missverständnissen beruhen.
Ebenfalls macht er deutlich, dass eine gewalttätige Erziehung beim Hund Aggressionen und/oder Depressionen hervorrufen kann.
Schön, dass das endlich mal einer sagt.

Andererseits verliert er sich bedauerlicherweise in teilweise sehr wirren ausschweifenden Gedankengängen, die entweder irrelevant sind (wenn ich ein Hundebuch lese, interessiert es mich nicht, ob man einen Schakal oder Fuchs auch hätte domestizieren können) oder sogar falsch, weil er auf einmal Äpfel und Birnen verwechselt und von falschen Tatsachen ausgeht. (Zum Beispiel meint er, Hunde seien im Gegensatz zu Wölfen grundsätzlich freundlich zu anderen Hunden und weniger territorial – was ich ganz und gar nicht unterschreiben würde. Oder dass Wölfe nie eine Beziehung zu einem nicht verwandten Wolf aufbauen können – völlig unlogisch, denn das würde ja bedeuten, dass Wölfe nur Inzucht treiben, natürlich suchen sie sich wenn möglich einen nicht mit ihnen verwandten Partner. Und so weiter, es gibt immer wieder Sätze, die für einen Wissenschaftler erstaunlich unwissenschaftlich sind. Und er meint ständig, man dürfe Hunde und Wölfe nicht vergleichen, wobei er für diese These ausschließlich Argumente heranzieht, die auf dem – wie man ja weiß – unnatürlichen Verhalten von Gehegewölfen beruhen. Dass man das nicht als Ausgangsbasis nehmen sollte, ist klar. Erst auf S. 95 kommt er darauf zu sprechen, dass die Familienstruktur der freilebenden Wölfe unserem Zusammenleben mit Hunden doch gar nicht so unähnlich ist. Damit hätte er sich seine vorigen Argumente gegen den Wolf-Hund-Vergleich komplett sparen können.)
Wegen dieser verwirrenden Widersprüche, die mich beim Lesen wirklich gestört haben, empfehle daher, mit der Lektüre im letzten Absatz von S. 91 anzufangen. Vorher verpasst man nicht viel.

Richtig klasse finde ich, dass er sich – genau wie ich – die Frage stellt, warum wir in den Medien (Stichwort „Hundeflüsterer“) immer die brutalsten und brachialsten Methoden präsentiert bekommen. Warum verweigert das Fernsehen so vehement die Darstellung einer vernünftigen Erziehungsmethode? Seine Antwort ist so simpel, dass ich selbst gar nicht darauf gekommen bin:
Weil Gewalt dramatisch ist, und Menschen lieben Dramatik. Es ist einfach spannender zu sehen, wie ein Hund gekonnt niedergerungen und bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt wird (dann hat er sein Verhalten ja abgebrochen, eine Wirkung ist ersichtlich) als eine über Monate hinweg sorgfältig aufgebaute Gegenkonditionierung zu filmen. Da passiert ja nichts.
So einfach ist das.

Fernsehen lebt von dramatischen Augenblicken. Und eine dem Hund angepasste vernünftige Verhaltenstherapie zielt darauf ab, dem Tier Ruhe und Sicherheit zu vermitteln. Das will keiner sehen, das ist viel zu langweilig.

Ich kann es irgendwie verstehen, die Fernsehformate werden am Konsumverhalten der Leute ausgerichtet. Dennoch glauben viele Leute den Mist, den sie da sehen, und machen es ungefiltert nach. Ohne zu überlegen.
Ich bin der Ansicht, dass auch Fernsehsender eine Verantwortung tragen. Solange es niemandem schadet, können sie von mir aus senden was sie wollen.
Aber Sendungen, in denen das unnötige Quälen von Tieren und die Verbreitung völlig überholter „Dominanztheorien“, die wirklich nichts mehr in der Hundeerziehung zu suchen haben, von einem sogenannten Experten als richtig dargestellt werden, sind meiner Meinung nach höchst gefährlich, denn es gibt zu viele Leute, die wirklich glauben, was sie da sehen und hören.
Dann wäre es doch vielleicht besser, auf solche Sendungen komplett zu verzichten und sich mehr den Topmodel- und Shopping-Formaten zu widmen. Die bringen schließlich auch gute Quoten.

(Inga Jung, erstmals über Facebook veröffentlicht im Juli 2013)

Hundetraining ist Hilfe zur Selbsthilfe

 

Früher war es üblich, seinen Hund zur Ausbildung wegzugeben und ihn „fertig erzogen“ zurückzubekommen. Doch kam es schon recht früh zu einem Wandel, denn diese Art der Hundeerziehung funktionierte einfach nicht. Der Hund lernte zwar die Kommandos, aber da Hunde alles, was sie lernen, mit der gesamten Umgebung und allen anwesenden Begleitumständen verknüpfen, war der Hund in der Regel zu Hause bei seinem Besitzer nicht in der Lage, das Gelernte umzusetzen. Das gesprochene Wort war vielleicht das Gleiche, aber der Mensch war anders, er verhielt sich anders, die Umgebung war anders – der Hund war verwirrt und wusste nicht, was von ihm verlangt wurde.

Heute wissen wir viel mehr über das Lernverhalten von Hunden. Wir wissen, wie wichtig die Generalisierung des Gelernten mit verschiedenen Orten und Gegebenheiten ist. Wir wissen auch, wie wichtig es ist, Ablenkungen nur langsam zu steigern. Und wir wissen, dass der Hund in erster Linie auf unsere Körpersprache achtet.

Dieses Wissen führt zu einer sehr wichtigen Erkenntnis: Der Hund und sein Mensch müssen gemeinsam lernen und der Mensch muss wesentlich mehr an sich und seinem Verhalten arbeiten als der Hund. Daran führt einfach kein Weg vorbei.

Und dieses Lernen und An-sich-Arbeiten betrifft nicht nur die Grunderziehung, sondern das gesamte Zusammenleben von Mensch und Hund. Denn je besser der Mensch versteht, wie sein Hund die Welt sieht, desto weniger Schwierigkeiten wird er im Alltag mit seinem Hund haben.

Oft erlebe ich es, dass Menschen mich völlig verzweifelt anrufen und um Hilfe bitten, weil ihr Hund einfach nicht das tut, was sie von ihm erwarten. Sie sehen sich im täglichen Leben ständig in der Auseinandersetzung mit ihrem Hund, sie sind gestresst und genervt und wissen nicht weiter. Und doch liegen die Ursachen dieser zunächst riesig erscheinenden Probleme häufig nur in kleinen Missverständnissen. Sehr oft reicht es dann völlig aus, wenn ich diesen Menschen erkläre, warum ihr Hund sich so verhält und dass er aus seiner eigenen Logik heraus gar nicht anders kann. Diese Erkenntnis, dass ihr Hund überhaupt nicht ärgern und stressen will, sondern einfach seinen Impulsen folgt, und das damit verbundene Umdenken in den Köpfen der Hundebesitzer ist manchmal alles, was an „Therapie“ nötig ist. Dadurch, dass sie ihren Hund mit anderen Augen sehen und besser verstehen, wird ihr gesamter Umgang mit ihm entspannter, und die Probleme erledigen sich von selbst.

Natürlich ist es nicht jedes Mal so einfach. Aber sehr häufig basieren Schwierigkeiten zwischen Mensch und Hund auf Missverständnissen – nicht selten erst provoziert durch einschlägige Hundeerziehungssendungen im Fernsehen, in denen alte, überholte Konzepte gepredigt werden.

Hundetraining ist keine Zauberei. Es ist Hilfe zur Selbsthilfe. Ich möchte meinen Kunden, den Lesern meines Blogs und auch den Teilnehmern meiner Kurse und Seminare in erster Linie vermitteln, wie sie sich in die Welt ihres Hundes hineinversetzen können. Ich möchte ihnen zeigen, wie ihr Hund das, was er tut, meint. Denn nur auf der Basis dieses Wissen ist es möglich, eine hundegerechte Erziehung aufzubauen und selbst Lösungen für Probleme zu finden. Oder zu erkennen, dass ein vermeintliches Problem vielleicht in Wirklichkeit gar keines ist.

(Inga Jung, Januar 2014)

Hilfe, mein Hund klaut! … Oder nimmt er nur, was übrig ist?

Immer wieder erzählen mir Leute, ihr Hund „stehle wie ein Rabe“. Das hört sich dann zum Beispiel so an: „Während ich vor dem Fernseher sitze und vor mir die Chipstüte habe, liegt er ganz arglos neben mir. Aber wenn ich auch nur kurz aufstehe und weggehe, klaut er sich sofort die Tüte vom Wohnzimmertisch!“

Ist das wirklich ein Diebstahl? Schauen wir uns das einmal genau an.

Leben mehrere Hunde zusammen, dann hat jeder, der Futter ergattern konnte, das Recht, dies in Ruhe aufzufressen. In der Regel wird dieses Recht von den anderen Hunden respektiert, und wenn nicht, dann darf der Hund seinen Besitz gegen die anderen verteidigen. Auch ein Welpe hat das Recht, einen Erwachsenen von seinem Futter zu vertreiben.

Steht der Hund, der das Futter hat, aber auf und lässt seine Reste liegen, dann ist das ein Zeichen für die anderen, dass sie sich bedienen dürfen. Denn derjenige, der das Futter als Erster hatte, hat es durch sein Aufstehen und Weggehen für die anderen freigegeben.

Die anfangs geschilderte Situation beschreibt nichts anderes. Sobald wir aufstehen und unser Essen in Hundenasenhöhe auf dem Wohnzimmertisch liegenlassen, signalisieren wir unserem Hund, dass er sich nun bedienen darf. Tut er das, ist dies aus seiner Sicht absolut in Ordnung. Das, was wir als „Klauen“ bezeichnen, ist für den Hund also erst einmal Normalverhalten: Er nimmt sich schließlich nur das, was andere übriggelassen haben.

Natürlich kann man einem Hund beibringen, das Essen trotzdem auf dem Tisch liegenzulassen. Je niedriger der Tisch aber ist (und je mehr auf Hundehöhe), desto schwerer wird das dem Hund zu vermitteln sein, denn es widerspricht seiner natürlichen Denkweise. Schließlich hat man ihm das Essen geradezu vor die Nase gelegt, da ist es für ihn einfach nicht verständlich, warum er davon nicht auch etwas probieren sollte.

Manchmal hilft tatsächlich nur eines: Aufräumen!

Vor allem wenn es sich um Lebensmittel handelt, die für einen Hund sehr giftig sind, wie beispielsweise Schokolade oder Rosinen, sollte man es keinesfalls dem Zufall überlassen, ob der Hund sich an unseren Resten bedient oder nicht. Denn so ein Experiment könnte lebensgefährliche Folgen für ihn haben.

Aber auch wenn er ungefährliche Lebensmittel erwischt: Mit jedem Erfolgserlebnis wird es wahrscheinlicher, dass der Hund sein Verhalten wiederholt – und vielleicht sogar auf Esstisch und Küchen-Arbeitsplatte ausdehnt.

Wie so oft, ist auch hier wieder unsere Verantwortung gefragt. Der Hund kann die Folgen seines Handelns nicht abschätzen, wir dagegen schon. Wenn wir einfach darauf achten, dass kein Essen, das nicht für den Hund bestimmt ist, unbeobachtet herumliegt, wird er gar nicht erst in Versuchung geführt.

So kann ein unerwünschtes Verhalten, das aufgrund seines selbstbelohnenden Charakters nur schwer wieder abzutrainieren ist, wenn es sich erst einmal gefestigt hat, einfach von vornherein vermieden werden. Und ein bisschen Ordentlichkeit schadet schließlich nicht.

(Inga Jung, erstmals veröffentlicht im Newsletter August 2013)

Kind und Hund – wie man möglichen Gefahren vorbeugt

Probleme im Zusammenleben von Kind und Hund entstehen häufig deshalb, weil Eltern die Sicht des Hundes nicht nachvollziehen können. Ihr Kind ist für sie niedlich, liebenswert und wehrlos. In den Augen des Hundes aber kann ein Krabbelkind, das sich unaufhaltsam immer wieder seinem Liegeplatz nähert, egal, wohin er sich auch zurückzieht, enorm bedrohlich und furchteinflößend sein.

Jeder Hund, der mit einem Kind zusammenlebt, sollte einen sicheren Platz haben, an den ihm das Kind nicht folgen kann, auch wenn er noch so lieb ist. Denn kein Hund hat Lust, ständig von einem Kind bedrängt und im Schlaf gestört zu werden.

Gerade kleine Kinder sind nicht in der Lage, die Warnungen eines Hundes zu verstehen. Bewegt das Kind sich auf den Hund zu und der Hund beginnt das Kind zu fixieren und anzuknurren, dann ist das aus Sicht des Hundes eine eindeutige Kommunikation: „Komm nicht näher“. Hält sich das Kind nicht daran, sieht der Hund sich oft gezwungen, zu deutlicheren Maßnahmen zu greifen.

Da das Kind in so einer Lage völlig überfordert ist, ist es Sache der Eltern, solche Situationen vorherzusehen, richtig einzuschätzen und dann entweder das Kind wegzunehmen oder den Hund auf seinen sicheren Platz zu schicken, an den ihm das Kind nicht folgen kann.

Es passieren im Verhältnis gesehen immer noch die meisten Beißunfälle, in denen Kinder betroffen sind, im eigenen Haushalt. Dessen sollte man sich als Elternteil bewusst sein und aufpassen, denn jeder Hundebiss hat eine Vorgeschichte.

Jedes Kind durchläuft das Tierquäl-Alter. Das ist eine Tatsache.

Kinder sind entdeckungsfreudig, sie wollen Dinge erforschen, sie wollen Ursache und Wirkung sehen, sie wollen den Dingen auf den Grund gehen. In einem gewissen Alter realisieren sie aber noch nicht, dass sie dem Hund damit wehtun. Hier sind die Eltern gefragt, aufzupassen und schnell einzugreifen.

Es gilt konsequent immer – wirklich immer – die Regel: Kind und Hund werden niemals miteinander alleine gelassen, auch nicht für fünf Minuten. Denn das können genau die fünf Minuten sein, in denen der Hund sich gegen das Kind wehren muss und es zu einem Unfall kommt.

Hunde sehen sich selbst als Familienmitglieder, wobei kleine Kinder aus der Sicht des Hundes die Position eines kleinen Geschwisterchens einnehmen. Viele Hunde übernehmen gerne die Rolle des Aufpassers und Helfers. Dennoch tut es ihnen weh, wenn ein Kind auf ihnen herumkrabbelt und sie dabei unabsichtlich tritt oder an ihrem Fell zieht. Einige Hunde ertragen dies gutmütig, andere werden ab einem gewissen Punkt unwirsch und weisen das Kind zurecht, so wie sie es mit einem Welpen tun würden, der im Spiel zu heftig wird.

Purzelt ein Welpe im Schreck nach hinten, dann passiert ihm dabei nichts. Fällt dagegen ein Kleinkind nach hinten, kann es sich dabei schnell den Kopf verletzen. Am besten beugt man vor und achtet darauf, dass der Hund nicht so sehr bedrängt wird, dass er das Gefühl hat, das Kind abwehren zu müssen

Vor dem Gesetz darf ein Kind nicht vor seinem 14. Lebensjahr alleine mit einem Hund spazieren gehen, auch wenn dieser noch so klein ist. Kinder können Gefahren oft nicht richtig einschätzen und handeln zu impulsiv. Wird ihr Hund beispielsweise von einem anderen angegriffen, versuchen Kinder oft, ihren Hund zu schützen, und begeben sich dadurch selbst in Gefahr.

Da Kinder bis zu einem gewissen Alter (meist vor Beginn der Pubertät) von Hunden nicht ernst genommen werden, wird ein Hund, der frei läuft, im Ernstfall vermutlich nicht auf die Kommandos eines Kindes hören, auch wenn er sehr gut erzogen ist.

Erstaunlich viele Hundetrainer hängen noch dem veralteten Rudelkonzept an. Sie meinen, ein Hund müsse sich jedem Familienmitglied „unterordnen“ – ein Begriff, der irreführend ist und heutzutage nicht mehr verwendet wird. Wenn solche Hundetrainer empfehlen, der Hund müsse sich von jedem Familienmitglied – auch von einem Kleinkind – immer alles wegnehmen lassen, da er sich unterzuordnen habe, ist dies ein absolut verantwortungsloser Vorschlag. Das kann fatale Folgen haben, denn ein Hund, der sein Futter oder sein Spielzeug ernsthaft verteidigt, kann unter Umständen ungehemmt zubeißen, da er sich in einem existenziellen Recht bedroht fühlt (mehr dazu im Artikel „Ressourcenverteidigung“).

Bekommen die eigenen Kinder Besuch und es wird wild gespielt und getobt, dann hat ein Hund dazwischen nichts zu suchen. Durch die starke Aufregung, die solche wilden Renn- und Tobespiele bei Hunden erzeugen, kann es im Affekt dazu kommen, dass der Hund zu wild wird und die Kinder zwickt. Viele Kinder können in solchen Momenten nicht stehen bleiben und sich ruhig verhalten, sondern sie fangen an zu schreien und noch schneller zu laufen, und der Hund steigert sich immer mehr in sein wildes Verhalten hinein und verliert mehr und mehr die Selbstbeherrschung. Auch hier ist Vorbeugung am besten: Der Hund bleibt einfach bei den Erwachsenen und hat so keine Gelegenheit, sich ins Spiel der Kinder einzumischen.

Kindern muss erklärt werden, dass fremde Hunde sich anders verhalten als der eigene. Es ist schön, wenn Kinder keine Angst vor Hunden haben – allerdings haben umgekehrt viele Hunde Angst vor Kindern, und sie würden sich wehren, wenn ein Kind sie einfach so anfasst. Daher ist es wichtig, dass Kinder sich an die Regel halten, einen fremden Hund nur dann zu streicheln, wenn der Besitzer dies ausdrücklich erlaubt hat.

Kinder ab dem Grundschulalter haben oft von sich aus schon ein feines Gefühl für die Kommunikation mit Hunden. Sie freuen sich, wenn man ihnen die Signale der Hunde erklärt und sie ihren Hund dadurch immer besser verstehen.

Viele Hunde finden Kinder toll, da diese viel mehr Lust und Zeit als die Erwachsenen haben, mit ihnen zu spielen und zu kuscheln.

Sind die Eltern verantwortungsbewusst und passen auf, dass der Hund nicht zu sehr bedrängt wird, dann kann sich im Laufe der Jahre zwischen Kind und Hund eine tiefe Freundschaft mit einer regelrechten Geheimsprache entwickeln.

(Inga Jung, in etwas veränderter Form erstmals veröffentlicht im Newsletter Juni/Juli 2013)