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„Du bist zu nett zu deinem Hund“

Wenn ich sehe, dass Menschen ihren Hund scharf zurechtweisen, spreche ich sie darauf an und bekomme dann hin und wieder zu hören, dass Hundetrainer ihnen gesagt haben, sie seien „zu nett“ zu ihrem Hund. Sie versuchen diesen „Makel“ dann zu beseitigen, indem sie besonders unfreundlich und streng mit ihrem Hund umgehen.

Wieder einmal finde ich es unfassbar, was Hundetrainer mit ihren Bemerkungen so alles anrichten können, und mindestens ebenso unglaublich finde ich es, dass Menschen diesen Ratschlägen völlig gedankenlos und ohne Emotionen folgen, anstatt auf ihr Bauchgefühl zu achten.

Dabei ist so ein Spruch einfach nur unsinnig. Man kann überhaupt nicht zu nett zu seinem Hund sein. Hunde sind großartig, aufrichtig und liebenswert. Jeder Hund – selbst ein Hund wie meine verrückte Luzi, die mir regelmäßig mit ihren lautstarken Gefühlsausbrüchen den letzten Nerv raubt – hat es verdient, immer und jederzeit von seinem Menschen nett behandelt zu werden.

Was vermutlich mit dem Satz gemeint ist, ist etwas ganz anderes, nämlich „du bist nicht konsequent“. Das ist aber überhaupt nicht miteinander vergleichbar.

Inkonsequentes Handeln verwirrt Hunde. Ist etwas heute erlaubt, morgen verboten und übermorgen wird der Hund sogar aktiv dazu aufgefordert, dann folgert der Hund daraus, dass sein Mensch offenbar selbst nicht weiß, was er will. Und dann macht der Hund eben das, was er selbst möchte. Das ist in der Beziehung zwischen Eltern und Kindern im Übrigen nicht anders. Das weiß ich sehr genau, denn ich war auch so ein Kind.

Mangelnde Freundlichkeit hingegen zerstört einfach nur die Vertrauensbasis zwischen Mensch und Hund. Nichts weiter. Ruppige Behandlung schafft Unsicherheiten und ein emotionales Ungleichgewicht. Das Einzige, was man damit erreicht, ist ein unglücklicher Hund. Und auch das kann man auf das Verhältnis zwischen Eltern und ihren Kindern problemlos übertragen.

Konsequent und gleichzeitig nett zu sein ist gar nicht schwer. Ich muss nur gewisse Regeln aufstellen und mich dann in erster Linie selbst daran halten. Nehmen wir mal ein Beispiel: Mein Hund soll nicht mit ins Bett. Nun bin ich aber krank oder mein Partner ist für ein paar Wochen nicht da, ich liege im Bett und fühle mich elend und einsam. Mein Hund sitzt vor mir und schaut mich an. Was mache ich? Na klar, ich hole meinen Hund zu mir ins Bett und wir kuscheln.

Das kann man machen, solange man sich der Tatsache bewusst ist, dass man in dem Moment seine eigene Regel gebrochen hat und von seinem Hund keinesfalls erwarten darf, dass er von nun an nie wieder ins Bett möchte. Dem Hund ist es natürlich völlig egal, dass in zwei Wochen sein Mensch wieder gesund ist und dessen Partner wieder seinen Platz im Bett beansprucht. Der Hund sieht nur, dass diese bisher immer aktive Regel nun aufgehoben wurde.

Konsequent zu sein bedeutet also in erster Linie, sich selbst im Blick zu haben und sich seiner eigenen Taten bewusst zu sein. Wenn ich dies jetzt tue, dann fasst mein Hund das soundso auf. Möchte ich das? Kann ich damit leben, dass sich unser Zusammenleben dadurch ändert und in Zukunft andere Regeln gelten? Oder möchte ich das nicht? Dann sollte ich mich nun tunlichst zusammenreißen und diese Regel nicht brechen.

Hunde sind sehr konsequent. Sie sind kooperativ und halten sich an einmal gelernte Regeln. Das ist eine wichtige Basis für ein stressfreies Zusammenleben im sozialen Verband. Aber im Gegenzug müssen wir fair sein und uns ebenso daran halten. Wenn wir die Regeln auflockern, dann dürfen wir von unseren Hunden nicht erwarten, dass sie sie weiterhin einhalten. Gleiches Recht für alle. So läuft das in einer Familie.

Und selbstverständlich funktioniert auch das Erlernen der Regeln ganz wunderbar mit viel Lob, Spiel und Spaß. Strafe ist gar nicht notwendig, denn jeder Hund, der neu in einen Haushalt kommt, versucht als Erstes herauszufinden, welche Regeln hier gelten. Er will und muss das wissen, damit er sich richtig verhalten und sich gut in die Familie einfügen kann. Wenn wir ihm auf liebevolle Weise beibringen, wie das Zusammenleben mit uns funktioniert, dann stärken wir gleichzeitig die wichtigste Basis für Alltag, Spiel und Training: Vertrauen.

Und jederzeit nett zu seinem Hund zu sein, das gehört selbstverständlich dazu.

(Inga Jung, Mai 2018)

 

 

 

 

Buchtipp: „Hab keine Angst, mein Hund“

Neulich habe ich das Buch „Hab keine Angst, mein Hund. Ängste bei Hunden erkennen und abbauen“ von Rolf C. Franck und Madeleine Grauss (inzwischen Madeleine Franck) wiederentdeckt. Das Buch ist aus dem Jahr 2008 und somit schon etwas älter, aber immer noch absolut aktuell und wirklich empfehlenswert.

Zu Beginn gehen Rolf und Madeleine auf den biologischen Sinn von Ängsten und auf ihre Entstehung ein. Sie beschreiben, was enorm wichtig ist, dass Angst immer mit Erregung einhergeht. Und je stärker die Erregung ist, desto heftiger die Angst. Und desto schwieriger ist es, den Hund noch zu erreichen. Das heißt, an der Angst muss immer in den Situationen gearbeitet werden, in denen die Erregung des Hundes noch nicht so stark ist, in denen er noch ansprechbar ist. Versucht er schon zu fliehen oder anzugreifen, dann ist die Angst zu heftig und keine Arbeit an dem Verhalten mehr möglich.

Es wird gezeigt, was man auf keinen Fall tun sollte, zum Beispiel die Angst des Hundes ignorieren oder ihn zwingen, sich dem Angstauslöser zu nähern. Beides schadet dem Vertrauensverhältnis zwischen Mensch und Hund und verstärkt mit hoher Wahrscheinlichkeit die Angst.

Auch dass der Hund ein sicheres Umfeld zu Hause braucht, in dem er sich wohl fühlt und seine Bedürfnisse erfüllt werden, wird nicht vergessen. Ebenso dass der Mensch immer der „sichere Hafen“ sein muss, zu dem der Hund sich voller Vertrauen flüchten kann und darf.

Dann geht es weiter mit den Trainingstechniken, die in den verschiedenen Situationen hilfreich sind. Dabei werden typische Ängste und dafür geeignete Trainingstechniken beschrieben. Alles natürlich gewaltfrei und auf das Tempo des einzelnen Hundes abgestimmt.

Mir persönlich kommt nur eine einzige Sache in diesem Buch etwas zu kurz, nämlich dass man als Mensch an sich selbst arbeiten muss. Jeder, der mal mit einem ängstlichen, reaktiven Hund unterwegs war, kennt das: Man sieht oder hört den Auslöser der Angst und denkt unwillkürlich „oh nein!“. Das wiederum zieht körperliche Reaktionen nach sich, der Herzschlag beschleunigt sich, man bewegt sich anders, man wird nervös, man nimmt die Leine kürzer und so weiter.

Das ist ganz normal. Aber man macht es dem Hund dadurch unnötig schwer, denn wie soll er denn gelassen auf einen Angstauslöser reagieren, wenn sein Mensch ebenfalls Schweißausbrüche bekommt? Das bedeutet: Ich muss an mir arbeiten. Ich muss lernen, tief durchzuatmen und mich bewusst zu entspannen, um meinem Hund zu helfen.

Jeder kann das. Und wenn man das erst einmal gelernt hat, dann hilft es einem auch in vielen anderen aufregenden Situationen, zum Beispiel im Job, weiter. Es lohnt sich also doppelt, sich auch mit sich selbst und seinen eigenen Reaktionen auseinanderzusetzen und nicht immer nur auf den Hund zu schauen.

Von diesem einen Punkt abgesehen, finde ich das Buch absolut gelungen. Es ist durch die vielen Erläuterungen und praktischen Beispiele eine große Hilfe für Menschen mit Hunden, die ihr Heil bisher in Flucht oder Angriff gesucht haben und ihre Ängste nun langsam abbauen sollen.

(Inga Jung, Juli 2017)

 

Gewaltfreies Hundetraining – was ist das eigentlich?

 

Wenn man sich so die Websites der Hundeschulen durchliest, scheinen sich irgendwie alle einig zu sein, denn überall liest man es: „gewaltfreies Training“.

Schaut man sich dann aber das Training im Einzelnen an, dann gibt es überhaupt keine klare Linie, jeder hat andere Prinzipien, und manchmal sind sich sogar die Trainer bei ein- und derselben Hundeschule nicht einig, wie das Hundetraining zu erfolgen hat. Ich denke, das hängt damit zusammen, dass das Wort „Gewalt“ ein sehr dehnbarer Begriff ist.

Was ist das überhaupt: „Gewalt“? Wie definiert man das?

Klar, bei Stachelwürger und Elektroschocker sind die Grenzen ziemlich klar definiert: Die sind nicht nur extrem gewalttätig, sondern ihr Einsatz ist hier bei uns glücklicherweise auch verboten. Aber es gibt noch viel mehr Formen von Gewalt, und nur weil eine Hundeschule sich an die gesetzlichen Vorschriften hält, arbeitet sie noch lange nicht gewaltfrei.

Es gibt zum Beispiel sehr subtile, nach außen ganz unschuldig aussehende „Erziehungsgeschirre“ und „-halsbänder“ im Stil des gefürchteten „Illusion Collars“ von Hundealptraum Cesar Millan, die im stinknormalen Zoohandel nicht nur an Tierquäler, sondern auch an unerfahrene und leichtgläubige Menschen verkauft werden, die denken, das sei alles gar nicht so schlimm. Und es gibt Trainer, die solchen Leuten diese Mittel sogar empfehlen.

Neben Würgen, Treten, Pieksen und Schlagen, was erstaunlicherweise nicht aus der Mode zu kommen scheint (solche Leute trauen sich allerdings meist nicht, „gewaltfrei“ auf ihre Homepage zu schreiben, weil das dann doch zu offensichtlich gelogen ist), sind seit einiger Zeit auch zahlreiche Formen psychischer Gewalt ganz hoch im Kurs.

Sehr beliebt sind die beiden Maßnahmen Erschrecken und Ausgrenzen. Also auf gut Deutsch gesagt: Mobbing.

Immer dann, wenn Ihr Hund etwas tut, was Sie nicht wollen, oder auch nur dann, wenn Sie glauben, er könnte vielleicht eventuell etwas denken oder vorhaben, was Sie nicht möchten, sollen Sie ihn diesen Empfehlungen zufolge mobben, was das Zeug hält, bis er so eingeschüchtert ist, dass er sich nie wieder traut, auch nur irgendwas zu tun oder zu denken.

Das geht so:

Man bewerfe den Hund mit allem, was einem in die Finger kommt. Am besten aber mit einem Gegenstand, der auch noch ordentlich Krach macht und somit vielleicht auch noch eine schöne Geräusch-Phobie erzeugt. Das ist herrlich effektiv, denn dann muss man in Zukunft vielleicht nicht mal mehr werfen, sondern macht einfach das Geräusch, und der Hund liegt panisch am Boden. Toll!

Man kann den Hund alternativ auch mit einer Wasserflasche aus heiterem Himmel anspritzen. Dafür eignet sich natürlich nicht jede x-beliebige Wasserflasche, denn der Hund soll sich ja nicht über die schöne Abkühlung freuen, sondern sich ordentlich erschrecken. Das Wasser muss also gewehrschussartig verteilt werden können und darf keinesfalls tröpfeln. Hierfür gibt es bestimmte Empfehlungen, die Ihnen einer der „gewaltfreien“ Trainer in Ihrem Ort sicher nennt. Achten Sie gut darauf, dass Ihr Hund auch ordentlich Angst vor Ihnen bekommt, da sonst die Gefahr bestehen könnte, dass er doch noch Vertrauen zu Ihnen aufbaut, und das wollen wir ja um jeden Preis verhindern.

Weiterhin kann man den Hund „vertreiben“, wenn er etwas Unerwünschtes tut. Dafür reicht es aus, wie eine wildgewordene Furie schreiend hinter ihm herzurennen und ihm dadurch unmissverständlich klarzumachen, dass er aus der sozialen Gruppe ausgeschlossen ist und niemals wieder ein weiches Bett oder Futter und Wasser erhalten wird.

Ich muss gestehen, ich habe dieses Vertreiben früher auch angewandt, wenn ich mir nicht anders zu helfen wusste, und es schien auch so, als hätte es gewirkt. Heute sehe ich die Tatsache, dass mein Hund danach mit völlig verstörtem Blick brav neben mir her lief, doch etwas anders. Der Eindruck einer komplett Geistesgestörten, den ich in dem Moment bei ihm hinterlassen haben muss, ist vermutlich niemals wieder aus seinem Gedächtnis zu tilgen und hat mir zahlreiche Misserfolge im späteren Training beschert. Nämlich immer dann, wenn ich meinem Hund vermitteln musste, dass ich Situationen für ihn regele. Wie soll er mir auch vertrauen, wenn ich mich ihm gegenüber schon mal so unberechenbar und irre verhalten habe?

Eine weitere Form des Psychoterrors, der genau wie das Vertreiben auf den Ausschluss aus der sozialen Gruppe abzielt, ist das länger andauernde Ignorieren des Hundes.

Um hier keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Wenn mein Hund mich durch aufdringliches Verhalten nervt (und ich definitiv weiß, dass kein dringendes Bedürfnis dahinter steckt), dann ist es absolut in Ordnung, wenn ich ihm durch demonstratives Nichtbeachten aufzeige, dass er damit nicht an sein Ziel kommt. Aber: Das darf niemals länger andauern, sondern muss beendet werden, wenn das unerwünschte Verhalten endet. Und wenn mein Hund dann ein paar Minuten ruhig war, gehe ich zu ihm und lobe ihn für dieses vorbildliche Verhalten, damit er weiß, was ich von ihm erwarte. Denn dieses kurzzeitige Ignorieren soll ja schließlich einen Lerneffekt für den Hund haben und nicht meinen persönlichen Rachegelüsten dienen.

Keinen Lerneffekt hat hingegen das langfristige (oft sogar für mehrere Wochen angeordnete) Ignorieren, das leider von manchen Hundetrainern als „Lösung für alle Probleme“ empfohlen wird. Ignoriere ich meinen Hund länger als das Verhalten, das ich ändern möchte, andauert, dann verwirrt und verängstigt ihn das zutiefst. Denn er hat dann keine Möglichkeit zu verstehen, warum ich ihn auf einmal aus meinem Alltag ausgrenze. Hunde sind sehr soziale Lebewesen, für die die Gemeinschaft mit ihren Menschen das Wichtigste überhaupt ist. Nicht ohne Grund haben so viele Hunde Schwierigkeiten mit dem Alleinsein. Sind wir dann aber endlich wieder vereint, dann möchte der Hund mit uns interagieren, mit uns kommunizieren, mit uns spielen und kuscheln. Er braucht diese Gemeinschaft mit uns so sehr wie Futter, Wasser und einen trockenen Schlafplatz.

Wenn wir ihm die Erfüllung dieses Bedürfnisses verweigern, indem wir ihn längere Zeit ignorieren, und ihm auch jede Chance verwehren, durch eine Verhaltensänderung seinerseits diese Nichtbeachtung zu beenden, dann erfüllt das den Tatbestand der Tierquälerei. Hunde, die so behandelt werden, reagieren zutiefst verstört und verunsichert. Sie geraten in einen Zustand der erlernten Hilflosigkeit, was bedeutet, dass sie keine Möglichkeit haben, einer unangenehmen Situation durch eigenes Tun zu entkommen. Die Folge sind Frustration und Verzweiflung, und auf längere Sicht können sogar Depressionen und schwerwiegende Verhaltensstörungen entstehen.

Wer glaubt, durch ein solches Handeln ein Problem aus der Welt zu schaffen, der irrt gewaltig. Natürlich wird der Hund nach diesem Ignorier-Programm überglücklich sein, wenn man ihn wieder in die Gemeinschaft, aus der man ihn ausgestoßen hatte, integriert und ihm wieder Aufmerksamkeit und Beachtung schenkt. Er wird alles tun, um nicht noch einmal diese Tortur ertragen zu müssen. Aber der Vertrauensverlust ist da, und dieses Loch lässt sich nicht so einfach wieder flicken. Wie soll sich so ein Hund bei seinen Menschen sicher und geborgen fühlen? Wie soll er nach so einem grauenvollen Erlebnis innere Ruhe finden? Man darf sich nicht wundern, wenn nach einer solchen Behandlung Verhaltensprobleme entstehen, die vorher nicht vorhanden waren, denn Psychoterror geht an keinem Lebewesen spurlos vorbei.

Es gibt in der „Szene“ tatsächlich Trainer, die behaupten, alles, was keine körperliche Gewalt ist, sei überhaupt keine Gewalt. Seelische Gewalt existiert in der Welt dieser Menschen nicht. Oder aber es wird gar die Behauptung aufgestellt, dass Hunde untereinander das auch machen, und daher sei das völlig okay. Nun, ich persönlich habe noch niemals gesehen, dass Hunde, die gemeinsam in einer sozialen Gruppe leben und sich mögen, einander ständig verjagen, ignorieren und ausgrenzen. So etwas gibt es nur dann, wenn die Hunde ein Problem miteinander haben und sich nicht leiden können. Und ausgerechnet so eine Konstellation sollten wir ja nun nicht unbedingt als Vorbild für unser Verhalten gegenüber unserem eigenen Familienmitglied nehmen.

Kehren wir noch mal zur körperlichen Gewalt bzw. Strafe zurück, denn auch da gibt es Menschen, die noch im 21. Jahrhundert ernsthaft Argumente pro Gewalt vertreten. Machen Sie hier nicht den Fehler, auf die Hundetrainer hereinzufallen, die sagen: „Wenn mein Hund Aggressionsverhalten zeigt, dann kann ich das nicht auf die sanfte Tour abtrainieren. Da muss ich ihm zeigen, wo der Hammer hängt.“ Denn dabei ist schon allein die Herangehensweise schlicht falsch. Es handelt sich um eine reine Symptombekämpfung: Er zeigt Aggressionsverhalten, also brate ich ihm eins über. Das setzt am falschen Punkt an.

Gutes Hundetraining setzt nicht an den Symptomen an, sondern an den Ursachen. Ich frage nicht: „Was tue ich, wenn der Hund sich so verhält?“ Ich frage: „Warum verhält der Hund sich so? Und was kann ich verändern, damit er gar keine Notwendigkeit mehr sieht, sich so zu verhalten?“ Auch das richtige Timing ist wichtig: Wenn ich weiß, dass mein Hund sich gleich in die Leine werfen und lospöbeln wird, dann warte ich natürlich nicht ab, bis das Unvermeidliche passiert, sondern ich werde vorher aktiv. Es gibt so viele Möglichkeiten, den Hund in eine positive, entspannte Stimmung zu bringen, bevor er sich in das unerwünschte Verhalten hineinsteigert. Man darf nur nicht immer in den Wenn-Dann-Kategorien denken, sondern muss lernen, vorausschauend zu handeln und flexibel zu agieren, statt immer nur zu reagieren. Und zwar ohne Gewalt.

Unerwünschtes und als störend empfundenes Verhalten entsteht zu 90 Prozent aus Aufregung. Ein völlig tiefenentspannter Hund tut selten etwas Unerwünschtes. Meist sind es doch eher die aufgeregten Verhaltensweisen, die uns ärgern, wie Bellen, Beißen, an der Leine zerren, andere Hunde attackieren, unkontrolliertes Herumspringen etc. Bei all diesen Dingen muss ich mich also fragen: „Warum und worüber regt sich der Hund so auf?“ Und: „Was kann ich tun, um die Situation entspannter zu gestalten, damit gar nicht erst so eine Aufregung entsteht?“ Wenn man in dieser Form an den Ursachen des Verhaltens ansetzt, erübrigt sich häufig weiteres Training sogar, denn die vom Hund als entspannter empfundene Situation bewirkt, dass er sich auch ruhiger verhält und der Mensch kein Problem mehr sieht.

Das Gleiche gilt, wenn ein Hund deshalb unerwünschtes Verhalten zeigt, weil er Schmerzen hat, was übrigens gar nicht so selten der Fall ist. Ohne eine vernünftige Schmerztherapie wird sich auch sein Verhalten nicht wirklich ändern. Auch hier gilt: Setzt man nicht an der Ursache an, sondern bekämpft nur die Symptome, wird man nicht viel erreichen.

Nun gibt es natürlich Ursachen, die man nicht beseitigen kann. Daher sage ich zum Beispiel bei territorialer Aggression gegenüber anderen Hunden, dass hier das Training Grenzen hat. Denn ich kann meinem Hund nicht „abtrainieren“, dass er es als Affront empfindet, wenn ein anderer Hund unerlaubterweise in seinem Revier herumspaziert. Ich kann die Situation aber auch nicht ändern, denn die öffentlichen Wege rund um unser Haus, die mein Hund als sein Revier betrachtet, dürfen von jedem Spaziergänger benutzt werden. Also ist das eine Ursache, die ich nicht abstellen kann.

Hier kommen jetzt besagte Hundetrainer und empfehlen, das Verhalten, dessen Ursache sich nicht beseitigen lässt, einfach durch Gewalt zu unterdrücken. Das mag auch auf den ersten Blick funktionieren. Aber: Ich warne dennoch deutlich davor, denn Gewalt hat immer Nebenwirkungen, die sich vorher schlecht einschätzen lassen.

Beispielsweise kann es sein, dass mein Hund den Leinenruck, den ich einsetze, um ihn vom Bellen abzuhalten, mit dem Anblick des anderen Hundes verknüpft und lernt: „Wenn ein anderer Hund auftaucht, tut das weh.“ Durch diese Fehlverknüpfung schaffe ich mir ein Problem, denn mein Hund wird in Zukunft vermutlich nicht mehr nur in seinem eigenen Revier aggressiv auf andere Hunde reagieren, sondern auch auf neutralem Gebiet, wo er früher verträglich war. Denn andere Hunde werden durch diese Erfahrung für ihn generell zu einer Bedrohung seines Wohlbefindens, die es schnell zu vertreiben gilt.

Genauso kann es sein, dass in dem Moment, in dem ich meinen Hund für das Bellen strafe, ein Kind in seinem Blickfeld auftaucht und er lernt: „Immer wenn ein Kind auftaucht, tut es weh. Kinder sind gefährlich.“ Und schon dehnen sich seine Aggressionen auch auf Kinder aus, obwohl er diese früher neutral gesehen hat.

Das Gleiche kann mit Fahrradfahrern, Skateboardern und allen möglichen auffälligen Personen oder Dingen passieren, die zufällig gerade anwesend sind – einschließlich mir selbst, denn natürlich merkt mein Hund, dass die Gewalt von mir ausgeht, und das zerstört sein Vertrauen in mich.

Und bleiben wir noch mal beim Leinenruck: Wenn ich an der Leine rucke, um meinen Hund zu strafen, dann kann das zu schmerzhaften Muskelverspannungen oder sogar Schäden an Kehlkopf und Halswirbelsäule führen. Und wie wir alle aus Erfahrung wissen, sind solche Schmerzen im Hals- bzw. Nackenbereich nicht gerade Stimmungsaufheller. Unser Hund hat also unter Umständen Schmerzen und ist deswegen noch grantiger als sonst. Er zeigt wieder Aggressionen, ich rucke wieder an der Leine. Die Schmerzen werden schlimmer. Er zeigt deshalb wieder Aggressionen, ich rucke wieder an der Leine. Die Schmerzen werden schlimmer …

Merken Sie’s? Das ist ein Teufelskreis, den wir uns selbst geschaffen haben. Und das auch noch völlig unnötig, denn es gibt so viele Möglichkeiten, eine Verhaltensänderung ohne Gewalt zu erreichen. Ein bisschen Kreativität ist dabei durchaus hilfreich, denn nicht jeder Hund ist gleich. Aber es gibt inzwischen viele gute und auch wirklich gewaltfrei arbeitende Trainer und auch viele gute Bücher zu dem Thema. Man ist nicht mehr allein auf weiter Flur und hat nicht mehr wie in den 1980ern nur den Schäferhundeverein um die Ecke als Orientierung, es gibt heutzutage viel mehr Möglichkeiten. Man muss sich nur umsehen und informieren.

Und haben Sie den Mut, für Ihren Hund einzustehen und laut und deutlich „nein“ zu sagen, wenn ein Trainer Sie zu etwas überreden will, was Ihnen nicht behagt. Ihr Hund ist Ihr Schützling, sein Wohlergehen liegt ganz allein in Ihrer Hand. Und Sie wissen ja, wie es bei Spiderman schon so treffend hieß: Mit großer Macht geht große Verantwortung einher.

(Inga Jung, April 2017)

 

 

 

 

 

 

Ist mein Hund wirklich glücklich?

Hund zu sein ist in unserer Gesellschaft schwierig geworden. Die Erwartungen an unsere „modernen“ Hunde sind immens. Und wenn die Menschen dann auch noch veralteten Erziehungsratschlägen, wie z.B. den längst überholten Rangordnungsmodellen, folgen, dann verstehen unsere armen Hunde schnell die Welt nicht mehr. Es ist oft ein schmaler Grat zwischen geliebtem Haustier und gequälter Seele. Und die Menschen scheinen in vielen Fällen noch nicht einmal zu merken, was sie ihrem Hund antun.

Überprüfen wir doch mal ganz ehrlich und selbstkritisch unsere eigene Erwartungshaltung an unseren Hund. Wie wünschen wir uns unseren Hund? Wie soll er sein? Wie soll er sich verhalten? Wie viel Freiheit gestehen wir ihm zu?

Häufig höre ich dann Antworten wie: „Mein Hund darf sehr viel, aber das muss er schon können und hier muss er sich so verhalten und dort darf er natürlich nicht …“ Und schon hat man wieder eine ellenlange Liste von Einschränkungen, Ge- und Verboten und absoluten Tabus. Das ist leicht verständlich, denn es sind nicht nur unsere eigenen Erwartungen, sondern es lastet auch ein gesellschaftlicher Druck auf uns Hundehaltern. Da müssen wir uns anpassen. Und das ist ja auch richtig so.

Ich möchte nur davor warnen, hier einen ungesunden Perfektionismus zu entwickeln und dem Hund Dinge abzuverlangen, die er gar nicht leisten kann. Es geht nicht nur um uns. Wichtig ist nicht nur das, was wir uns von unserem Hund wünschen. Wir müssen uns auch fragen, was sich unser Hund von uns wünscht. Versetzen wir uns doch mal in seine Lage. Aus seiner Sicht ist unsere Welt unfassbar kompliziert und unverständlich. Er braucht unsere Anleitung und unseren Schutz, um zurechtzukommen.

Ich selbst war früher auch so ein Mensch. Als ich meinen ersten Hund hatte, da habe ich immer die Menschen bewundert, die mit ihrem unangeleinten Hund durch die Stadt liefen, denen der Hund problemlos frei durch das dichteste Menschengetümmel folgte und selbst an stark befahrenen Kreuzungen absolut verlässlich zu sein schien. Und ich sage bewusst „zu sein schien“, denn inzwischen habe ich tragischerweise genug solche Hunde gesehen, die unter einem Auto gelandet sind, weil die absolute Verlässlichkeit einfach ein Trugschluss ist. Es braucht nur einen kleinen Reiz wie ein Eichhörnchen auf der anderen Straßenseite oder eine Handbewegung des Menschen, die der Hund falsch als Signal zum Loslaufen gedeutet hat, und schon ist das Unglück passiert. Womit wir wieder bei Menschen wären, die von ihrem Hund einfach zu viel verlangen. Und auch wieder bei meinem eigenen Beispiel.

Damals habe ich mir immer gesagt, beim nächsten Hund wird alles anders. Und als ich dann endlich meinen nächsten eigenen Hund bekam, da wollte ich, dass dies der perfekte Hund wird. Ich bin damals für mein heutiges Empfinden sehr hart mit meinem Hund umgegangen. Geblendet von den gängigen Rangordnungstheorien und geleitet von dem Gedanken, mein Hund müsse mich überallhin begleiten, habe ich überhaupt nicht erkannt, was für eine zarte, empfindsame Seele da an meiner Seite war. Viele Wünsche meines Hundes habe ich unterdrückt, weil sie nicht zu meiner Vorstellung passten. Ich habe sogar körperliche Maßregelungen wie den Schnauzgriff angewandt, und das bei einem Hund, dessen Welt schon zusammenbricht, wenn man ihn nur einmal mit einem tadelnden Blick ansieht. Etwas, das ich mir nie verzeihen werde.

Wie konnte ich nur so dumm und blind sein? In meinem egoistischen Bestreben, den perfekten Hund zu bekommen, habe ich gar nicht bemerkt, dass dieses liebevolle, zarte, harmoniesüchtige Wesen bereits von dem Moment seiner Geburt an absolut perfekt war.

Heute läuft es anders bei uns. Bevor ich meine Hunde auf einen Ausflug mitnehme, überlege ich mir, ob sie dabei auch Spaß haben, oder ob sie vielleicht glücklicher wären, wenn ich sie zu Hause lasse.

Ich gehe einzeln mit meinen sehr unterschiedlichen Hunden spazieren, weil sie beide zufriedener sind, wenn ich ganz auf ihre Bedürfnisse eingehen kann und sie nicht jeden Tag Kompromisse machen müssen. Das ist anstrengend für mich, aber es ist auch wunderschön, weil ich so die Möglichkeit habe, mich täglich intensiv mit den Hunden einzeln zu befassen, was bei einem gemeinsamen Spaziergang nicht machbar wäre.

Ich freue mich darüber, dass meine inzwischen alte Hündin ihre Meinung äußert und mir zeigt, auf welchem Spazierweg sie heute Gassi gehen möchte und wo nicht. Und mir geht das Herz auf, wenn ich sehe, wie glücklich sie ist, weil ich auf sie achte und ihren Wünschen folge. Das ist eine Erfahrung, die sie als junger Hund nie machen durfte.

Es geht mir nicht mehr darum, was ich gerne möchte, und vor allem geht es mir nicht mehr um das, was andere von mir und meinem Hund denken. Es geht mir nur noch um das Glück meiner Hunde, auch wenn das für mich manchmal anstrengend ist.

Das heißt natürlich nicht, dass meine Hunde tun und lassen dürfen, was sie wollen. Sobald sie sich selbst oder andere in Gefahr bringen könnten oder sich auch nur jemand von ihnen belästigt fühlen könnte, greife ich selbstverständlich ein und nehme sie an die Leine. Auch der zuverlässige Rückruf ist wichtig, um Gefahren abzuwenden. Aber ich stelle keine unnötig hohen Anforderungen mehr an meine Hunde. Sie müssen nichts tolerieren, was sie nicht wollen. Ich verlange zum Beispiel nicht von ihnen, dass sie still stehen und sich von einem Fremden streicheln lassen, nur weil ich das gerade möchte. Ich weiß, dass meine Hunde das beide nicht gern mögen, und dann haben sie auch absolut das Recht, es zu verweigern. Ich will schließlich auch nicht von jedem Fremden angefasst werden, also warum sollte ich von meinen Hunden etwas verlangen, was ich selbst noch nicht einmal tun würde.

Die Augen geöffnet hat mir im Grunde unsere Hündin Luzi, die einen sehr speziellen, anstrengenden, aufbrausenden Charakter hat und anfangs auch sehr unsicher war. Mit ihr war von Anfang an nichts von all dem, was ich mit meiner älteren Hündin gemacht habe, möglich. Kneipenbesuche, Einkaufsbummel, Begegnungen mit fremden Menschen – alles absolut unvorstellbar. Ich musste all meine Ansprüche auf null herunterschrauben.

Es ist erstaunlich, wie es den eigenen Blickwinkel verändert, wenn man mit einem Hund unterwegs ist, bei dem man schon froh ist, wenn er einen Passanten, der ihn im Vorbeigehen kurz angeschaut hat, nicht sofort angreift. Mir wurde erst im Alltag mit Luzi klar, wie viel ich von meinem anderen Hund verlangt hatte. Und dass es keinesfalls selbstverständlich ist, dass ein Hund in unserer verwirrenden, aufregenden modernen Welt zurechtkommt, ohne durchzudrehen.

Durch diese Veränderung meines Blickwinkels habe ich auch die Anforderungen an meinen anderen Hund zurückgedreht, ihm mehr Freiheiten gelassen und weniger von ihm verlangt. Ihn nicht mehr überallhin mitgenommen und ihm mehr Halt gegeben. Und siehe da, er wurde auf einmal viel fröhlicher, alberner, verspielter, und das bis ins hohe Alter. Es tat ihm gut, diese Last nicht mehr tragen zu müssen. Wäre mir das nur vorher schon aufgefallen, dann hätte ich ihm einiges erspart.

Wir müssen unsere egozentrische Weltsicht, die für uns Menschen so typisch ist, überdenken. Wir müssen anfangen, uns wirklich ehrlich zu fragen, ob wir nicht zu viel von unseren Hunden wollen. Ob sie nicht glücklicher wären, wenn wir ihnen einfach mehr Schutz und Geborgenheit bieten und nicht ständig das Unmögliche von ihnen fordern. Wir müssen uns in unsere Hunde hineinversetzen und die Welt aus ihrem Blickwinkel betrachten.

Und ist es wirklich notwendig, dass unser Hund uns überallhin begleitet? Ich denke, er wäre manchmal vielleicht doch zufriedener, wenn er zu Hause auf dem Sofa in aller Ruhe ein Schläfchen machen und darauf warten dürfte, dass seine Menschen vom Stadtfest, das sie ohne ihn besucht haben, zurückkehren.

Muss ein Hund es erdulden, dass sich eine ganze Kindergartengruppe schreiend um ihn schart und lauter klebrige, kleine Hände ihn anfassen? Auch wenn das für die Kinder sicherlich eine pädagogisch wertvolle Erfahrung ist – ich möchte in so einer gruseligen Situation nicht in der Haut dieses Hundes stecken.

Unsere Hunde haben nicht die Wahl. Sie sind unseren Entscheidungen ausgeliefert. Es liegt in unserer Verantwortung, sie vor Überforderung zu schützen und ihnen nicht zu viel zuzumuten.

(Inga Jung, März 2017)

„Rassismus“ im Tierschutz

Neulich saß ich in der Pflegestelle eines Hundes aus dem Tierschutz, zusammen mit den dort wohnenden Menschen und der Vorsitzenden des örtlichen Tierschutzvereins, und man amüsierte sich über vegane Ernährung und all diese albernen neumodischen Trends. Das machte mich doch sehr nachdenklich, denn wohlgemerkt, alle Versammelten bezeichneten sich selbst als Tierschützer. Das waren keine Schweinebauern, die ihre wirtschaftlichen Interessen schützen wollten, und auch keine Leute, die sich noch nie mit dem Thema Tierquälerei befasst haben. Und trotzdem fanden sie vegane Ernährung, also die einzige Ernährungsweise, die wirklich komplett ohne Tierquälerei auskommt, albern.

Ich will jetzt nicht im Glashaus sitzen und mit Steinen werfen, denn ich lebe auch nicht zu 100 Prozent vegan. Aber schon zu mindestens 80 Prozent. Und bei den wenigen Milchprodukten und Eiern, die ich kaufe, achte ich darauf, dass sie von Bioland-  oder Demeter-Höfen kommen, weil mir die deutschen und europäischen Biosiegel nicht ausreichen. Dennoch: Ich trage dadurch dazu bei, dass kleine Kälbchen nach der Geburt ihren Müttern weggenommen werden, und auch diese Tiere werden nicht an Altersschwäche sterben, sondern im Schlachthof, und das ist nicht gut. Aber ich weiß das, fühle mich schuldig und versuche mich einzuschränken. Und ich lache ganz und gar nicht über Menschen, die es besser machen als ich, im Gegenteil, ich bewundere sie. Das ist es, worauf ich hinaus will.

Jemand, der sich für den Tierschutz engagiert, der darf doch nicht unterscheiden zwischen „guten“ und „schlechten“ Tieren. Er darf doch nicht sagen: „Das süße Kätzchen rette ich, aber was mit dem Huhn passiert, das ist mir egal.“ Das ist nichts anderes als Rassismus. Oder, um es noch deutlicher zu machen:

Wer Zeit und Geld investiert und hunderte von Kilometern ins Ausland reist, um Hunde aus den Tötungsstationen zu retten, sich dann aber auf dem Rückweg an der Autobahnraststätte Burger, Schnitzel und Würstchen reinzieht – der ist in meinen Augen um keinen Deut besser als jemand, der sich in einer Hilfsorganisation für die Ausbildung von weißen Kindern stark macht und das mit Geld finanziert, das er der schwarzen Bevölkerung wegnimmt.

Oder, um noch bildlicher zu sprechen: Das kann man mit einem Feuerwehrmann vergleichen, der in einen brennenden Kindergarten rennt und nur die Kinder rettet, die er selbst niedlich findet, während er den Kindern, die er hässlich findet, sagt: „Um euch ist es nicht schade. Seht zu, wo ihr bleibt.“

Diskriminierung gibt es überall. Wir Menschen lieben es, andere zu kategorisieren und in Schubladen zu stecken. In Filmen trennen wir ganz klar die Guten von den Bösen, und die Guten dürfen dabei gerne so viele von den Bösen erschießen, wie sie wollen, das macht nichts, denn die waren ja böse. Aber so schwarz-weiß ist die Welt nicht. Auch die Bösen haben in aller Regel Menschen, die sie lieben, und vielleicht sind sie sogar unverschuldet in die Situation geraten. Das kann man doch nicht wissen, ohne genau nachzufragen.

Und auch unsere Einteilung der Tiere in Nutztiere und Haustiere ist im Grunde nichts als Blödsinn, denn es gibt keine Unterschiede zwischen ihnen. Sie alle leben, fühlen, lieben, denken (richtig, sie denken, dazu gibt es inzwischen reichlich Forschungsergebnisse), haben Ängste und verspüren Freude und Lebenslust. Wer mal gesehen hat, wie ein Kälbchen oder ein Ferkel über die Weide springen, der wird daran kaum Zweifel haben. Nur sieht man das ja leider nicht so oft. In unseren Zeiten der Massentierhaltung verbringen diese Tiere, die nur geboren werden, um von uns Menschen ausgebeutet und getötet zu werden, ihr kurzes Leben hinter Mauern, kommen niemals ans Tageslicht und haben nur sehr selten mal einen Grund, sich über etwas zu freuen. Meist sitzen sie in ihrem eigenen Dreck und können nur davon träumen, den blauen Himmel zu sehen. Vor Stress kauen sie sich gegenseitig die Ohren blutig oder picken sich die Haut wund. Und wenn sie in das jugendliche Alter kommen, in dem normalerweise das Leben erst so richtig spannend wird, dann ist es schon an der Zeit für die Schlachtung.

Das aber wird von unseren Fleisch essenden Mitmenschen, seien es Tierschützer oder nicht, achselzuckend hingenommen. Denn es sind ja „nur Nutztiere“, und dank dieser Kategorisierung kann man mit ihnen schließlich machen, was man will.

Ich möchte an dieser Stelle einmal daran erinnern, dass es noch gar nicht so lange her ist, dass hier in Deutschland auch Menschen in eine solche Kategorie eingeteilt wurden. Man hat damals mit ihnen genau dasselbe gemacht, was wir heute mit unseren Nutztieren tun: Man hat sie gedemütigt und gequält, in Transporter verladen, ohne Rücksicht auf ihr Befinden, man hat sie über lange Strecken befördert, ihnen Angst und Schmerz zugefügt, sie bis aufs Blut ausgebeutet, und am Ende hat man sie auf grausame Weise getötet. Aber das war nach der damaligen Ideologie alles nicht schlimm, denn es waren ja „nur Juden“.

Heute ist uns allen bewusst, dass das Unrecht war. Es war grausam, grauenvoll und durch nichts zu rechtfertigen. Ich hoffe, dass irgendwann auch die Zeit kommen wird, in der wir Menschen nicht mehr das Recht haben zu sagen: „Es ist doch nur ein Schwein. Ist ja nicht so, als würden wir hier einen Hund schlachten.“ Denn dann, in dieser hoffentlich nicht mehr fernen Zeit, wird es endlich anerkannt sein, dass ein Schwein, ein Rind und ein Huhn genauso ein Recht auf ein Leben ohne Leid und Schmerz haben wie ein Hund. Denn wir wissen schließlich schon heute: Es gibt keinen Unterschied.

(Inga Jung, Januar 2017)

Betreten verboten! Territorialverhalten bei Hunden verstehen

Mein drittes und damit neuestes Buch ist im Oktober 2016 im Kynos Verlag erschienen und ab sofort überall im Handel erhältlich!:

Betreten verboten! Territorialverhalten bei Hunden verstehen
Inga Jung
1. Auflage Herbst 2016, Kynos Verlag

Territorialverhalten

Bitte lassen Sie sich nicht von dem hässlichen Titelbild abschrecken. Das Cover war NICHT meine Idee und hat auch nicht meine Zustimmung. Aber vielleicht gewinne ich irgendwann damit einmal den Preis für das abscheulichste Sachbuch-Cover, wer weiß … 😉
Es gibt bisher wenige Bücher zum Thema Territorialverhalten bei Hunden, und die Bücher, die ich zu dem Themenbereich gefunden habe, waren leider qualitativ sehr schlecht. Ich fand daher, dass es an der Zeit ist, ein Buch über Territorialverhalten zu schreiben, welches sowohl die Hintergründe des Verhaltens erklärt und verständlich macht, als auch viele Praxistipps für unterschiedliche Situationen bereithält.
Dabei liegt mein Fokus selbstverständlich auf einem gewaltfreien Umgang mit dem Hund. Auch wenn Territorialverhalten häufig mit Aggressionsverhalten einhergeht, gibt es keinen Grund, als Mensch ebenfalls aggressiv zu reagieren. Es gibt viele Möglichkeiten, Territorialverhalten durch eine durchdachte Kombination aus Management und positivem Training, das Hund und Mensch Spaß bringt, im Alltag kontrollierbar zu machen, sodass von dem Hund keinerlei Gefahr ausgeht.

Wie man dies umsetzt, welche Situationen speziell beachtet werden müssen, wie man vorausschauend agiert und vieles mehr werde ich in meinem neuen Buch beleuchten.
Obwohl es sich um Hunde aller territorial veranlagten Rassen und Mischlinge drehen wird, sehe ich mein neues Buch unter anderem auch als Ergänzung zu meinem 2011 erstmals erschienenen Buch „Unser Hund – Der Australian Shepherd“, das gerade in der 4. Auflage gedruckt wird. In meinem ersten Buch konnte ich aus Platzgründen nicht ausführlich genug auf das Thema Territorialverhalten eingehen. Ich habe dies im Grunde immer nur kurz angesprochen, aber es hätte den Rahmen des Buches gesprengt, ins Detail zu gehen. Nun wird in diesem Jahr mit meinem neuen Buch endlich eine ausführliche Besprechung des Territorialverhaltens erscheinen, die aufzeigt, was einen mit einem territorial motivierten Hund erwarten wird und wie man damit umgehen sollte. Für Freunde meines Buches über den Australian Shepherd ist mein neues Buch eine absolute Empfehlung zum Weiterlesen.

 

Der Verlag beschreibt mein neues Buch wie folgt:

Hunde haben es oft nicht leicht: Jahrtausendelang wurden sie zum Bewachen von Haus, Hof und Eigentum gezüchtet, und plötzlich sind diese Eigenschaften nicht mehr gefragt. Der Hund soll plötzlich jeden Gast freundlich willkommen heißen – aus Hundesicht häufig ein Unding.

Das „Aberziehen“ dieses in vielen Rassen tief verwurzelten Verhaltens, womöglich noch durch Strafen, hat folglich wenig Erfolgsaussichten – wohl aber das Umlenken in gewünschte und akzeptable Bahnen, wenn man den Hund und sein Denken auch ernst nimmt und seine Bedürfnisse berücksichtigt.

Aus Erfahrung selbst schlau geworden, erklärt Hundetrainerin Inga Jung, wann und warum sich Hunde territorial verhalten und bewirkt damit zahlreiche „Aha-Momente“ auch bei erfahrenen Hundebesitzern.

Wie kleine Veränderungen im Alltag Großes bewirken können und mit welchen Schritten man dem Hund erklärt, dass man selbst in der Lage ist, über das Hereinlassen von Besuch zu entscheiden, erfahren Sie in diesem Buch.

Buchtipp: „Hunde. Evolution, Kognition und Verhalten“

 

Das Buch „Hunde. Evolution, Kognition und Verhalten“ von Dr. Ádám Miklósi ist sicher keine leichte Kost, das sei schon zu Anfang gesagt. Wer auf der Suche nach einem locker zu lesenden Schmöker ist, der sei gewarnt: Dr. Ádám Miklósi ist durch und durch Wissenschaftler, und genauso schreibt er auch.

Hunde

Ich finde dieses Buch, das im Jahr 2009 im Kosmos Verlag erschien, hoch interessant, da es sich dem Thema Hund komplett von der wissenschaftlichen Seite her nähert und trotzdem den Hund nicht als ein Forschungsobjekt betrachtet, sondern als ein fühlendes und denkendes Lebewesen, dem man auch in der Wissenschaft keine unangenehmen Experimente zumuten darf. In diesem Zusammenhang geht der Autor beispielsweise auf die grausamen Versuche zur erlernten Hilflosigkeit ein, die in den Sechzigerjahren durchgeführt wurden, und verurteilt diese als unethisch und nicht zu rechtfertigen.

Miklósi beleuchtet alle Aspekte rund um den Hund, sowohl die Geschichte der Domestikation, als auch seine Sinnesleistungen und sein Verhalten sowie die bisherige und eventuelle zukünftige Forschung zu unserem ältesten Haustier. Dabei betont er immer wieder den engen Bezug des Hundes zum Menschen und die Tatsache, dass Hunde und Menschen einfach zusammengehören: „Heute sind sich die Wissenschaftler weitgehend einig, […] dass Hunde- und Menschenverhalten tatsächlich einige bedeutsame Merkmale gemeinsam haben.“ (S. 367)

Da er der Ansicht ist, dass man das Verhalten und die Leistungen eines Tieres am besten in seinem natürlichen Umfeld betrachtet, ist er im Hinblick auf den Hund der Meinung, dass Verhaltensbeobachtungen immer in Anwesenheit der Bezugsperson des Hundes und in einem für den Hund normalen Umfeld erfolgen sollten. Dies nicht zuletzt deshalb, weil herausgefunden wurde, dass Hunde sich durch die Anwesenheit eines vertrauten Menschen viel schneller beruhigen lassen, als durch die Anwesenheit eines vertrauten Hundes oder eines fremden Menschen.

Manchmal war ich bei der Lektüre etwas überrascht angesichts der leichten Inkonsequenz, mit der Miklósi sich zum Thema Dominanzverhalten äußert. Einerseits stellt er heraus, dass die Beobachtungen zum Dominanzverhalten, die früher die Dominanztheorie begründeten, im Gehege entstanden sind, was weder für den Wolf, noch für den Hund eine natürliche Situation darstellt. Und dass sich Wolf und Hund in ihrer natürlichen Umgebung (freie Wildbahn bzw. menschliche Familie) ganz anders verhalten. Er geht ebenfalls darauf ein, dass die neuere Wissenschaft eher dazu neigt, den Hund als Mitglied seiner menschlichen Familie zu sehen, das keinerlei Dominanzbeziehungen zu den anderen Familienmitgliedern entwickelt.

Andererseits verstrickt er sich dann aber doch wieder in widersprüchliche Aussagen, was vermuten lässt, dass er sich von der alten Theorie gedanklich noch nicht ganz lösen kann. Zum Beispiel meint er, die Menschen hätten den Hund so gezüchtet, dass er sehr viel aggressionsfreier als der Wolf sei. Das wiederum kann ich nicht nachvollziehen, denn ebenso wie Wölfe können manche Hunde sehr intolerant gegenüber Fremden sein, die nicht zu ihrer eigenen sozialen Gruppe gehören. Und ebenso wie Wölfe sind die meisten Hunde innerhalb ihrer eigenen Familie sehr sanft und geduldig und versuchen, Aggressionen zu vermeiden. Zudem ist das Verhalten solch hoch entwickelter Säugetiere einfach zu individuell, um generelle Aussagen in Bezug auf alle Hunde und alle Wölfe treffen zu können. Sieht man aber ausschließlich die Gehegewölfe vor sich und schließt das Verhalten frei lebender Wölfe aus, dann mag die Aussage stimmen, denn im Gehege treten durch den Stress und die beengte Situation insgesamt deutlich mehr Aggressionen auf. Ich vermute fast, dass die Aussage auf diesem Gedanken beruhte.

Gern zitiere ich den folgenden Absatz: „Immer wieder taucht in der Literatur die Annahme auf, dass das ‚Gewinnen‘ von Spielen Auswirkungen auf die hierarchische Beziehung zwischen Menschen und ihren Hunden hat […]. Abgesehen davon, dass keinerlei Daten zur Untermauerung dieser Annahme vorliegen[…], widerspricht sie auch der Logik des Spiels, weil Spielsignale dazu dienen sicherzustellen, dass eventuelle schädliche Handlungen nicht ernst genommen werden (sollten). Außerdem ist das Spiel durch einen ständigen Rollenwechsel gekennzeichnet, und Tiere vermeiden die Interaktion mit Artgenossen, die zu diesen Rollenwechseln nicht bereit sind.“ (S. 294 f.)

Ich finde es faszinierend, dass Miklósi als Wissenschaftler immer wieder auf die große Ähnlichkeit zwischen Mensch und Hund hinweist und darauf, dass unser Verhalten und unsere Reaktionen häufig vergleichbar sind. Aus diesem Grund fanden schon oft vergleichende Verhaltensexperimente mit Kindern und Hunden statt, in denen durchaus auch Parallelen gefunden wurden. Dass ein Wissenschaftler heutzutage dies nicht ablehnt und als Vermenschlichung abtut, sondern in seine Betrachtungen mit einbezieht, ist meiner Meinung nach ein großer Fortschritt auf dem Weg zu der Erkenntnis, dass Tiere eben keine leblosen Maschinen sind, die nur auf Reize reagieren, sondern genau wie wir denken und fühlen und uns vielleicht ähnlicher sind, als wir immer gedacht haben. Miklósi geht sogar noch weiter und führt an, dass sowohl Hunde wie auch Kinder klare Familienstrukturen brauchen, die ihnen Verlässlichkeit und Sicherheit bieten, und dass Hunde und Kinder in gleichem Maße soziale Unterstützung durch ihre Bezugspersonen benötigen. Er scheut sich ganz und gar nicht, hier Parallelen herauszustellen.

In dem Kapitel über Hunde im Tierheim, in dem es unter anderem darum geht, wie sehr Hunde unter mangelndem Sozialkontakt mit Menschen leiden und dass ihr Stresspegel im Tierheim bereits nach kurzer Zeit messbar ansteigt, fand ich diesen Satz besonders rührend, der im Gegensatz zu dem sonst streng wissenschaftlich gehaltenen Text erstaunlich emotional daherkommt: „ Zwar können Hunde Menschen durch Beißen verletzen, doch auch wir verletzen Hunde, wenn wir sie in Tierheimen sitzen lassen.“ (S. 113)

Bei der Beschreibung der Verhaltensbeobachtungen und Experimente, die mit Hunden durchgeführt wurden, betont Miklósi wiederholt ihre oft erstaunlichen Problemlösungsfähigkeiten. Selbst wenn ein Hund nicht die erwartete Lösung fand, ist der Autor nicht bereit, diese Aufgabe sofort als nicht lösbar einzustufen, sondern er schaut sich kritisch die Umstände an und legt nahe, dass möglicherweise eine für den Hund ungewohnte Umgebung oder die Tatsache, dass der Hund die Aufgabe aus seinem Blickwinkel anders betrachtet als der Mensch, zu dieser vermeintlich fehlerhaften Leistung geführt haben könnten.

Das ist wirklich interessant und ganz und gar nicht abwegig. Miklósi weist mehrfach darauf hin, dass viele Versuche aus absolut menschlicher Sicht aufgebaut sind und somit z.B. hauptsächlich visuelle Aspekte einbeziehen. Der Hund als „Nasentier“ nimmt aber noch viel mehr wahr als wir und setzt dementsprechend vielleicht auch an einem ganz anderen Punkt bei der Problemlösung an. Nur weil wir das mit unseren eingeschränkten Fähigkeiten nicht nachvollziehen können, muss es nicht zwangsläufig falsch sein.

Weiterhin führt Miklósi an, dass Hunde in einigen Versuchen, in denen Menschen anwesend waren, offenbar nicht nur den reinen Versuchsaufbau betrachteten, sondern die Menschen mit einbezogen und das Ganze als soziale, kommunikative Situation bewerteten, so wie sie es sonst aus ihrem Alltag auch gewohnt waren. Dadurch kann es vorkommen, dass ein Hund sich z.B. nicht traut, ein Stück Futter zu nehmen, obwohl er weiß, wie er es bekommen könnte, weil er der Meinung ist, dass einer der anwesenden Menschen Anspruch auf dieses Futterstück erhebt. Oder dass er den Menschen in die Problemlösung mit einbezieht, um das Ganze als gemeinsames Spiel aufzubauen, anstatt sich ausschließlich allein mit der Aufgabe zu beschäftigen. Das kann zu der fehlerhaften Interpretation führen, dass der Hund nicht wisse, wie er das Futter erreichen kann, obwohl er dieses Wissen vielleicht hat, es aber aus verschiedenen Gründen nicht anwendet.

Ich schließe mich Dr. Miklósi an mit der Ansicht, dass wir noch viel über das Wesen und die Gedankenwelt unserer Hunde zu lernen haben, selbstverständlich ohne ihnen dabei ein Leid zuzufügen. Und ich denke, dass wir sicherlich auch vieles von unseren Hunden lernen könnten, wenn wir nur in der Lage sind, uns ihrer Sichtweise zu öffnen und ihnen ohne Vorurteile zu begegnen.

(Inga Jung, August 2016)

Von wahren Helden

 

Gerade jetzt zur Zeit der Fußball-EM wird mir mal wieder bewusst, wie unterschiedlich doch die Definition des Wortes „Held“ oder „Vorbild“ für uns Menschen ist. Mir würde es niemals in den Sinn kommen, einen Fußballer als Helden zu feiern, im Gegenteil. Ich finde es ziemlich affig, dass erwachsene Menschen schwitzend über eine Wiese rennen, alle Nase lang über ihre eigenen Füße stolpern und dann auch noch jammern und schreien wie Kleinkinder und dem Schiedsrichter das alte Lied des „er hat aber angefangen“ erzählen. Als ob sie nicht schon im Kindergarten die Erfahrung gemacht hätten, dass das nicht zieht. Aber gut. Wenn man so was mag, ist es bestimmt eine tolle Sache, auch wenn ich es wohl nie verstehen werde.

Für mich sind die wahren Helden nicht die Berühmtheiten aus Radio und Fernsehen, sondern die ganz normalen Menschen, die im Alltag Ungerechtigkeiten erkennen und zu beseitigen versuchen. Die Menschen, die mit offenen Augen durch die Welt laufen und nicht schweigend wegsehen, wenn sie wahrnehmen, dass etwas falsch läuft, sondern den Mund aufmachen. Die sich trauen unbequem zu sein und nicht immer den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen. Die aufklären und andere ermuntern, ebenfalls etwas zu tun, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen.

Zum Beispiel sah jemand, den ich gut kenne, im letzten Sommer vor einer Bäckerei einen stark hechelnden großen Hund in der Sonne sitzen, während dessen menschlicher Begleiter schön im Schatten saß und in aller Ruhe ein Stück Kuchen verdrückte. Statt einfach wegzusehen oder sich still zu ärgern ging mein ganz persönlicher Held schnurstracks in die Bäckerei und machte dort eine Riesenszene, wie es denn sein könne, dass der Hund dort in der Sonne sitzen muss und noch niemand wenigstens auf die Idee gekommen ist, ihm eine Schüssel mit Wasser hinzustellen. Man schaute ihn zwar an, als sei er verrückt geworden, aber der Hund bekam sein Wasser, das er auch gierig trank. Und seit diesem Tag stand immer eine Schüssel mit Wasser vor dem Eingang der Bäckerei. Neulich habe ich mit einem Lächeln wahrgenommen, dass jetzt sogar zwei richtige Hundenäpfe angeschafft wurden, die stets mit Wasser gefüllt sind. Die alte Plastikschüssel hat ausgedient. Das mag eine Kleinigkeit sein, aber für diesen Hund war es in dem Moment eine unheimliche Erleichterung. Und das Wichtigste ist, dass sich die Wahrnehmung der Menschen verändert hat und ihnen die Bedürfnisse eines zuvor unbeachteten Tieres bewusst wurden.

Es ist auch nicht immer einfach, in einer Gruppe von Menschen, die sich alle einig sind, einen gegensätzlichen Standpunkt offen zu äußern und zu vertreten. Wenn sich beispielsweise alle Arbeitskollegen darüber unterhalten, wie toll es ist, dass Wurst und Fleisch in einem bestimmten Discounter superbillig angeboten werden, dann gehört schon Mut dazu, in die begeisterte Diskussion die Frage einzuwerfen, ob sie sich denn auch im Klaren darüber seien, was sie da kaufen. Wie qualvoll das Leben der Tiere gewesen sein muss, wenn ihre Haltung so wenig Geld gekostet hat, dass ihre toten Überreste nun zu solchen Preisen verkauft werden können. Die Menschen, die billiges Fleisch wollen, mögen es in der Regel gar nicht, wenn man ihnen vor Augen hält, dass sie durch den Kauf dieser Produkte die Mitverantwortung für unfassbares Leid tragen. Sie wollen das nicht hören. Wer die Auseinandersetzung trotzdem nicht scheut und sich auf die Diskussion einlässt, der ist in meinen Augen ein echter Held.

Als Held ist man nicht immer beliebt. Man darf keine Angst davor haben, dass Menschen unfreundlich reagieren könnten. Werden sie aggressiv, muss man sich beherrschen und sachlich bleiben. Die Menschen hören auf nachzudenken, wenn ihre Emotionen hochkochen. Leute zu verärgern ist daher nicht zielführend. Man muss die nötige Ruhe haben, um eine Diskussion auf freundliche Weise führen zu können. Sogar wenn man jemanden davon abzubringen versucht, seinen Hund zu misshandeln und man das unbändige Bedürfnis hat, diesem Menschen das Gleiche anzutun, was er gerade mit seinem Hund gemacht hat, darf man sich nicht dazu hinreißen lassen. Aggression erzeugt nur Gegenaggression, und das führt niemals zu einer Besserung.

Tja, niemand hat je behauptet, es wäre einfach, ein Held zu sein.

Meine Helden sind Helden des Alltags. Menschen, die sich etwas trauen. Die nicht wegsehen, wenn Lebewesen, die nicht für sich selbst sprechen können, ein Leid geschieht. Die sich für Schwächere einsetzen. Meine Helden sind friedlich und genau deshalb sind sie besonders mutig. Sehr viel mutiger als jemand, der sich mit Gewalt durchzusetzen versucht. Draufhauen kann jeder, das erfordert weder Mut noch Hirn. Wer aber die Augen der Menschen öffnen und Mitgefühl mit anderen hervorrufen möchte, der braucht sowohl Mut als auch die richtigen Worte, oder, um es kurz zu sagen, den Stoff, aus dem Helden sind.

(Inga Jung, Juni 2016)

 

„Wir haben da so einen Problemhund“

 

Ich weiß nicht, wie oft ich diesen Satz am Telefon gehört und in E-Mails gelesen habe. Während meiner Zeit als Hundeverhaltensberaterin, aber auch jetzt noch erhalte ich immer wieder Anrufe von Menschen, deren erster Satz lautet: „Wir haben da so einen Problemhund zu Hause.“ Und oftmals war’s das dann auch schon. Mehr Info ist nicht nötig, der Hund ist ein Problemhund, damit ist doch alles gesagt.

Ich wundere mich immer wieder, wie konsequent Menschen sein können, wenn es darum geht, andere in eine Schublade zu packen und da nie wieder rauszulassen. Geht es aber um den Umgang mit dem Hund, dann ist Konsequenz wieder ein Fremdwort, und der arme Hund wird heute für das gleiche Verhalten gelobt, für das er morgen einen Satz heiße Ohren bekommt.

Problemhund scheint das neue Modewort zu sein, und das kommt sicher nicht von ungefähr. Einen Problemhund zu haben ist nämlich sehr bequem. Nicht ich habe Fehler gemacht, nicht ich stelle zu hohe Erwartungen an meinen Hund, nein, der Hund ist das Problem. Ein Problemhund eben. So, basta. Und jetzt, lieber Hundetrainer, tun Sie mal was dagegen, sonst kommt der ins Tierheim. Dann hol ich mir einen neuen Hund, der funktioniert bestimmt besser und ist nicht so ein Problemhund wie der alte.

Ich weiß, diese Schilderung klingt wie die Übertreibung des Jahrhunderts. Leider sieht genau so oft die Realität aus. Die gute Nachricht lautet: Die meisten Menschen mögen ihren Hund trotzdem irgendwie, mehr oder weniger. Und häufig steckt auch eine Menge Unsicherheit dahinter. Genau da muss man ansetzen.

Es gehört viel Fingerspitzengefühl dazu, in so einer Konstellation den Menschen auf freundliche Weise dazu zu bringen, seine Perspektive zu verändern und die Welt mal mit den Augen seines Hundes zu betrachten. Meiner Ansicht nach ist ein guter Hundetrainer jemand, der die Geduld und die rhetorischen Fähigkeiten hat, dies immer und immer wieder mit unterschiedlichen Menschen erfolgreich durchzuspielen, ohne dabei unfreundlich oder überheblich zu werden. Ist der Mensch erst einmal in der Lage, sich in seinen Hund hineinzuversetzen und nachzuvollziehen, warum er dieses Verhalten zeigt, dann hat man einen Fuß in der Tür. Zeigt sich der Mensch nun gesprächsbereit, dann ist der Weg zu einem gemeinsamen Training mit dem Hund, statt gegen ihn, geebnet.

Dieser Wandel in der Sichtweise ist für ein zufriedenes Zusammenleben von Mensch und Hund das Wichtigste. Der Mensch muss lernen, sich in seinen Hund hineinzudenken und mit ihm gemeinsam Lösungen zu finden, das Hauptaugenmerk auf seine positiven Eigenschaften zu legen und diese zu fördern. Dann wird auch das als problematisch empfundene Verhalten weniger werden, oder vielleicht wird es den Menschen einfach nicht mehr stören, weil er versteht, warum sein Hund sich so verhält. Diesen Wechsel in der Perspektive habe ich oft miterlebt, und so manche Beratungsstunde endete damit, dass die Menschen mir glücklich sagten, wenn das so sei wie ich es erklärt habe und der Hund aus diesen Gründen handele, dann sei das Verhalten gar kein Problem mehr für sie. Aber auch bei wirklich schwierigen Verhaltensweisen half das Verständnis für den Hund dem Menschen, das Training liebevoll und positiv aufzubauen, was zu einem nachhaltigeren Erfolg führte.

Warum ist das nun so, dass Hunde heutzutage so oft als „Problemhunde“ bezeichnet werden? Früher gab es das nicht. Ich kann mich nicht erinnern, in den 1980er- oder 1990er-Jahren mal das Wort „Problemhund“ gehört zu haben, obwohl die Hunde damals das gleiche Verhalten an den Tag legten wie heute. Aber meistens akzeptierten die Menschen das und lebten damit, dass ihr Hund bellte, bettelte oder die Besucher biss. Das war eben so.

Ich will jetzt nicht sagen, dass man so ein Verhalten auch heute noch einfach akzeptieren und damit leben sollte, schließlich ist man ja auch seinen Mitmenschen gegenüber in der Verantwortung, aber ein bisschen mehr Toleranz dem Hund und seinen Angewohnheiten gegenüber täte uns ganz gut.

Denn meiner Erfahrung nach glauben viele Menschen in erster Linie deswegen, ihr Hund sei problematisch, weil ihnen das irgendwelche selbsternannten Hundeprofis mit ihren perfekten Vorzeigehunden oder die zahlreichen Hundeerziehungssoaps im Fernsehen eingeredet haben. Dann werden die Leute unsicher und beginnen, an ihrem Hund und dessen Motiven sowie an der kompletten Beziehung zwischen ihnen und ihrem Tier zu zweifeln. Wenn es ganz schlimm kommt, sehen sie alles, was ihr Hund tut, aus einem negativen Blickwinkel und unterstellen ihm niedere Beweggründe, auf die nun wirklich nur ein Mensch kommen kann.

Würde es wieder in Mode kommen, Hunde so zu akzeptieren wie sie sind, mit all ihren persönlichen Stärken und Schwächen, dann gäbe es schlagartig keine „Problemhunde“ mehr, und viele Menschen wären wieder sehr viel glücklicher mit ihren vierbeinigen Familienmitgliedern.

(Inga Jung, Mai 2016)

 

Vorschau: Mein Buch „Betreten verboten! Territorialverhalten bei Hunden verstehen“

Mein neues Buch erscheint im Herbst 2016!:

Betreten verboten! Territorialverhalten bei Hunden verstehen
Inga Jung

1. Auflage Herbst 2016
Kynos Verlag

Es gibt bisher wenige Bücher zum Thema Territorialverhalten bei Hunden, und die Bücher, die ich zu dem Themenbereich gefunden habe, waren leider qualitativ sehr schlecht. Ich fand daher, dass es an der Zeit ist, ein Buch über Territorialverhalten zu schreiben, welches sowohl die Hintergründe des Verhaltens erklärt und verständlich macht, als auch viele Praxistipps für unterschiedliche Situationen bereithält.

Dabei liegt mein Fokus selbstverständlich auf einem gewaltfreien Umgang mit dem Hund. Auch wenn Territorialverhalten häufig mit Aggressionsverhalten einhergeht, gibt es keinen Grund, als Mensch ebenfalls aggressiv zu reagieren. Es gibt viele Möglichkeiten, Territorialverhalten durch eine durchdachte Kombination aus Management und positivem Training, das Hund und Mensch Spaß bringt, im Alltag kontrollierbar zu machen, sodass von dem Hund keinerlei Gefahr ausgeht.

Wie man dies umsetzt, welche Situationen speziell beachtet werden müssen, wie man vorausschauend agiert und vieles mehr werde ich in meinem neuen Buch beleuchten.

Obwohl es sich um Hunde aller territorial veranlagten Rassen und Mischlinge drehen wird, sehe ich mein neues Buch unter anderem auch als Ergänzung zu meinem 2011 erstmals erschienenen Buch „Unser Hund – Der Australian Shepherd“, das gerade in der 4. Auflage gedruckt wird. In meinem ersten Buch konnte ich aus Platzgründen nicht ausführlich genug auf das Thema Territorialverhalten eingehen. Ich habe dies im Grunde immer nur kurz angesprochen, aber es hätte den Rahmen des Buches gesprengt, ins Detail zu gehen. Nun wird in diesem Jahr mit meinem neuen Buch endlich eine ausführliche Besprechung des Territorialverhaltens erscheinen, die aufzeigt, was einen mit einem territorial motivierten Hund erwarten wird und wie man damit umgehen sollte. Für Freunde meines Buches über den Australian Shepherd ist mein neues Buch eine absolute Empfehlung zum Weiterlesen.

Freuen Sie sich auf den Herbst!

(Inga Jung, Februar 2016)