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Der Mensch und seine irrationalen Ängste

Wir Menschen sind schon sehr merkwürdige Lebewesen. Wir haben Angst vor allen möglichen Dingen, die es zum Teil noch nicht einmal gibt, während uns reale Gefahren völlig kalt lassen.
Wir haben Angst vor Aliens und vor Zombies. Vampire und Werwölfe nicht zu vergessen. Und der Teufel. Oder wahlweise der Zorn Gottes, der ist auch nicht von schlechten Eltern. Alles höchst gefährlich.
Oder kehren wir in den ganz normalen Alltag zurück und nehmen einfach mal den Wolf. Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht irgendwo in Deutschland ein reißerischer Zeitungsartikel verfasst wird, der die irrationalen Ängste der Menschen vor dem großen bösen Wolf schürt. Sobald ein Wolf ein Schaf gerissen hat (oder auch mehrere Schafe, was durchaus vorkommt, wenn der Mensch seine Tiere nicht ausreichend schützt), wird gleich geschrien: Morgen kommt er und frisst unsere Kinder! Abschießen! Tötet die Bestie!
Dabei leben inzwischen seit 16 Jahren Wölfe in Deutschland, und in all dieser Zeit hat kein einziger Wolf auch nur einem Menschen einen Kratzer zugefügt. Umgekehrt haben wir Menschen allerdings in diesen 16 Jahren schon zahlreiche Wölfe totgefahren, mit dem Auto gejagt, angeschossen, erschossen, zweimal sogar geköpft … Wer hier für wen eine Gefahr darstellt, muss ich doch wohl nicht noch weiter ausführen.
Oder Spinnen. Was haben wir Menschen doch eine grauenvolle Angst vor Spinnen! Nun, zugegeben, es sind vermutlich mehr Spinnen für den Tod von Menschen verantwortlich als Wölfe, denn es ist sicher schon so mancher Mensch beim Anblick einer kleinen Hausspinne in heller Panik auf dem nassen Badezimmerfußboden ausgerutscht und hat sich den Kopf angehauen. Aber ob man da nun wirklich der Spinne die Schuld geben sollte oder vielleicht doch lieber der übertrieben hysterischen Reaktion des Zweibeiners, tja …
Aktuell schwebt ja die Terrorismus-Gefahr über uns allen. Keine Frage, so ein Terroranschlag ist etwas Schreckliches. Aber deswegen jetzt gleich ganze Bevölkerungsgruppen und Glaubensgemeinschaften unter Generalverdacht zu stellen und jeden Muslim wie einen Aussätzigen zu behandeln – ja, das ist nun wieder typisch Mensch: völlig irrational.
Liebe Pegida-, Legida-, NPD-, AfD-, CSU- und was es noch so alles gibt Anhänger: Glaubt ihr allen Ernstes, es gäbe keine Gefahren mehr, wenn es in Deutschland keine Muslime gäbe? Seid ihr wirklich so dumm oder ist das auch wieder ein Fall für „wenn man nur daran glaubt, wird jede Lüge irgendwie wahr“? Arschlöcher gibt es überall, in jeder Religion und in jedem Land. Und ja, ihr lest richtig, ich zähle euch auch dazu.
Natürlich sind manche Muslime keine guten Menschen. Manche Christen auch nicht. Und wenn ich mir euch so anschaue, dann auch ganz allgemein viele, viele Deutsche nicht. Zum Glück hat diese Eigenschaft aber nichts mit einer Religion oder einer Staatsangehörigkeit zu tun, sondern mit der Persönlichkeit und der individuellen Geschichte eines Menschen. Und glaubt mir, ein Mensch, der sich überall ausgeschlossen fühlt, wird viel eher zum Terroristen als einer, den man gut behandelt. Denkt mal darüber nach.
Aber ich schweife vom Thema ab. Es ging um irrationale Ängste und warum wir so viele davon haben. Ich muss sagen, so genau weiß ich das auch nicht. Es scheint aber etwas mit der psychischen Reife zu tun zu haben. Als Kind hatte ich Angst vor den Krokodilen, die nachts unter meinem Bett waren. Und egal, was man mir gesagt hat, ich wusste einfach, dass sie nachts, wenn es dunkel war, dort darauf lauerten, dass ich eine Hand oder einen Fuß unter der Decke hervorstreckte. Tagsüber oder wenn man das Licht anschaltete, waren sie natürlich weg, das war doch klar.
Heute weiß ich, dass das Blödsinn war, aber in meiner kindlichen Welt war es real. So ähnlich muss das sein mit diesen irrationalen Ängsten vor Wölfen, Spinnen und Muslimen. Anders kann ich es mir nicht erklären.
Denn wir leben in einer Welt, in der im Jahr 2015 etwa 3.400 Menschen im Straßenverkehr gestorben sind und für das Jahr 2016 erneut etwa eine Zahl von 3.300 Verkehrstoten erwartet wird. Im Straßenverkehr verletzt werden jedes Jahr etwa 400.000 Menschen (Quelle: Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes Nr. 439 vom 08.12.2016).
Haben wir deswegen panische Angst vor Autos und Motorrädern? Nicht wirklich. Wir setzen uns weiterhin jeden Tag ins Auto, kutschieren unsere Lieben durch die Gegend und blenden diese ganz reale Gefahr einfach aus. Schließlich haben wir auch keine Zeit, uns ständig Gedanken über so etwas zu machen, denn dann kämen wir nicht mehr dazu, uns vor Spinnen und Wölfen zu fürchten.
Oder nehmen wir mal den Tabakkonsum: Im Jahr 2014 sind allein 15.513 Frauen an den Folgen des Rauchens gestorben (Pressemitteilung Nr. 182 des Statistischen Bundesamtes vom 31.05.2016). Das sind nur die Frauen. Männer noch nicht mit eingerechnet. Trotz dieser unfassbar erschreckenden Zahl rennen wir nicht in Panik davon, wenn wir eine qualmende Zigarette sehen, sondern im Gegenteil, die Zigarettenpause gilt immer noch für viele Menschen als Zeit der Erholung. Das muss man sich mal vorstellen: Ich erhole mich, indem ich mich einer tödlichen Gefahr aussetze.
Nun gut, jeder wie er mag. Aber kommt mir bitte nicht noch einmal mit den gefährlichen wilden Wölfen, die unbedingt alle abgeknallt werden müssen, damit wir in Deutschland wieder sicher leben können. Ihr Vollpfosten.
(Inga Jung, 14.12.2016)