Schlagwort-Archive: Hundetrainer

Gewaltfreies Hundetraining – was ist das eigentlich?

 

Wenn man sich so die Websites der Hundeschulen durchliest, scheinen sich irgendwie alle einig zu sein, denn überall liest man es: „gewaltfreies Training“.

Schaut man sich dann aber das Training im Einzelnen an, dann gibt es überhaupt keine klare Linie, jeder hat andere Prinzipien, und manchmal sind sich sogar die Trainer bei ein- und derselben Hundeschule nicht einig, wie das Hundetraining zu erfolgen hat. Ich denke, das hängt damit zusammen, dass das Wort „Gewalt“ ein sehr dehnbarer Begriff ist.

Was ist das überhaupt: „Gewalt“? Wie definiert man das?

Klar, bei Stachelwürger und Elektroschocker sind die Grenzen ziemlich klar definiert: Die sind nicht nur extrem gewalttätig, sondern ihr Einsatz ist hier bei uns glücklicherweise auch verboten. Aber es gibt noch viel mehr Formen von Gewalt, und nur weil eine Hundeschule sich an die gesetzlichen Vorschriften hält, arbeitet sie noch lange nicht gewaltfrei.

Es gibt zum Beispiel sehr subtile, nach außen ganz unschuldig aussehende „Erziehungsgeschirre“ und „-halsbänder“ im Stil des gefürchteten „Illusion Collars“ von Hundealptraum Cesar Millan, die im stinknormalen Zoohandel nicht nur an Tierquäler, sondern auch an unerfahrene und leichtgläubige Menschen verkauft werden, die denken, das sei alles gar nicht so schlimm. Und es gibt Trainer, die solchen Leuten diese Mittel sogar empfehlen.

Neben Würgen, Treten, Pieksen und Schlagen, was erstaunlicherweise nicht aus der Mode zu kommen scheint (solche Leute trauen sich allerdings meist nicht, „gewaltfrei“ auf ihre Homepage zu schreiben, weil das dann doch zu offensichtlich gelogen ist), sind seit einiger Zeit auch zahlreiche Formen psychischer Gewalt ganz hoch im Kurs.

Sehr beliebt sind die beiden Maßnahmen Erschrecken und Ausgrenzen. Also auf gut Deutsch gesagt: Mobbing.

Immer dann, wenn Ihr Hund etwas tut, was Sie nicht wollen, oder auch nur dann, wenn Sie glauben, er könnte vielleicht eventuell etwas denken oder vorhaben, was Sie nicht möchten, sollen Sie ihn diesen Empfehlungen zufolge mobben, was das Zeug hält, bis er so eingeschüchtert ist, dass er sich nie wieder traut, auch nur irgendwas zu tun oder zu denken.

Das geht so:

Man bewerfe den Hund mit allem, was einem in die Finger kommt. Am besten aber mit einem Gegenstand, der auch noch ordentlich Krach macht und somit vielleicht auch noch eine schöne Geräusch-Phobie erzeugt. Das ist herrlich effektiv, denn dann muss man in Zukunft vielleicht nicht mal mehr werfen, sondern macht einfach das Geräusch, und der Hund liegt panisch am Boden. Toll!

Man kann den Hund alternativ auch mit einer Wasserflasche aus heiterem Himmel anspritzen. Dafür eignet sich natürlich nicht jede x-beliebige Wasserflasche, denn der Hund soll sich ja nicht über die schöne Abkühlung freuen, sondern sich ordentlich erschrecken. Das Wasser muss also gewehrschussartig verteilt werden können und darf keinesfalls tröpfeln. Hierfür gibt es bestimmte Empfehlungen, die Ihnen einer der „gewaltfreien“ Trainer in Ihrem Ort sicher nennt. Achten Sie gut darauf, dass Ihr Hund auch ordentlich Angst vor Ihnen bekommt, da sonst die Gefahr bestehen könnte, dass er doch noch Vertrauen zu Ihnen aufbaut, und das wollen wir ja um jeden Preis verhindern.

Weiterhin kann man den Hund „vertreiben“, wenn er etwas Unerwünschtes tut. Dafür reicht es aus, wie eine wildgewordene Furie schreiend hinter ihm herzurennen und ihm dadurch unmissverständlich klarzumachen, dass er aus der sozialen Gruppe ausgeschlossen ist und niemals wieder ein weiches Bett oder Futter und Wasser erhalten wird.

Ich muss gestehen, ich habe dieses Vertreiben früher auch angewandt, wenn ich mir nicht anders zu helfen wusste, und es schien auch so, als hätte es gewirkt. Heute sehe ich die Tatsache, dass mein Hund danach mit völlig verstörtem Blick brav neben mir her lief, doch etwas anders. Der Eindruck einer komplett Geistesgestörten, den ich in dem Moment bei ihm hinterlassen haben muss, ist vermutlich niemals wieder aus seinem Gedächtnis zu tilgen und hat mir zahlreiche Misserfolge im späteren Training beschert. Nämlich immer dann, wenn ich meinem Hund vermitteln musste, dass ich Situationen für ihn regele. Wie soll er mir auch vertrauen, wenn ich mich ihm gegenüber schon mal so unberechenbar und irre verhalten habe?

Eine weitere Form des Psychoterrors, der genau wie das Vertreiben auf den Ausschluss aus der sozialen Gruppe abzielt, ist das länger andauernde Ignorieren des Hundes.

Um hier keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Wenn mein Hund mich durch aufdringliches Verhalten nervt (und ich definitiv weiß, dass kein dringendes Bedürfnis dahinter steckt), dann ist es absolut in Ordnung, wenn ich ihm durch demonstratives Nichtbeachten aufzeige, dass er damit nicht an sein Ziel kommt. Aber: Das darf niemals länger andauern, sondern muss beendet werden, wenn das unerwünschte Verhalten endet. Und wenn mein Hund dann ein paar Minuten ruhig war, gehe ich zu ihm und lobe ihn für dieses vorbildliche Verhalten, damit er weiß, was ich von ihm erwarte. Denn dieses kurzzeitige Ignorieren soll ja schließlich einen Lerneffekt für den Hund haben und nicht meinen persönlichen Rachegelüsten dienen.

Keinen Lerneffekt hat hingegen das langfristige (oft sogar für mehrere Wochen angeordnete) Ignorieren, das leider von manchen Hundetrainern als „Lösung für alle Probleme“ empfohlen wird. Ignoriere ich meinen Hund länger als das Verhalten, das ich ändern möchte, andauert, dann verwirrt und verängstigt ihn das zutiefst. Denn er hat dann keine Möglichkeit zu verstehen, warum ich ihn auf einmal aus meinem Alltag ausgrenze. Hunde sind sehr soziale Lebewesen, für die die Gemeinschaft mit ihren Menschen das Wichtigste überhaupt ist. Nicht ohne Grund haben so viele Hunde Schwierigkeiten mit dem Alleinsein. Sind wir dann aber endlich wieder vereint, dann möchte der Hund mit uns interagieren, mit uns kommunizieren, mit uns spielen und kuscheln. Er braucht diese Gemeinschaft mit uns so sehr wie Futter, Wasser und einen trockenen Schlafplatz.

Wenn wir ihm die Erfüllung dieses Bedürfnisses verweigern, indem wir ihn längere Zeit ignorieren, und ihm auch jede Chance verwehren, durch eine Verhaltensänderung seinerseits diese Nichtbeachtung zu beenden, dann erfüllt das den Tatbestand der Tierquälerei. Hunde, die so behandelt werden, reagieren zutiefst verstört und verunsichert. Sie geraten in einen Zustand der erlernten Hilflosigkeit, was bedeutet, dass sie keine Möglichkeit haben, einer unangenehmen Situation durch eigenes Tun zu entkommen. Die Folge sind Frustration und Verzweiflung, und auf längere Sicht können sogar Depressionen und schwerwiegende Verhaltensstörungen entstehen.

Wer glaubt, durch ein solches Handeln ein Problem aus der Welt zu schaffen, der irrt gewaltig. Natürlich wird der Hund nach diesem Ignorier-Programm überglücklich sein, wenn man ihn wieder in die Gemeinschaft, aus der man ihn ausgestoßen hatte, integriert und ihm wieder Aufmerksamkeit und Beachtung schenkt. Er wird alles tun, um nicht noch einmal diese Tortur ertragen zu müssen. Aber der Vertrauensverlust ist da, und dieses Loch lässt sich nicht so einfach wieder flicken. Wie soll sich so ein Hund bei seinen Menschen sicher und geborgen fühlen? Wie soll er nach so einem grauenvollen Erlebnis innere Ruhe finden? Man darf sich nicht wundern, wenn nach einer solchen Behandlung Verhaltensprobleme entstehen, die vorher nicht vorhanden waren, denn Psychoterror geht an keinem Lebewesen spurlos vorbei.

Es gibt in der „Szene“ tatsächlich Trainer, die behaupten, alles, was keine körperliche Gewalt ist, sei überhaupt keine Gewalt. Seelische Gewalt existiert in der Welt dieser Menschen nicht. Oder aber es wird gar die Behauptung aufgestellt, dass Hunde untereinander das auch machen, und daher sei das völlig okay. Nun, ich persönlich habe noch niemals gesehen, dass Hunde, die gemeinsam in einer sozialen Gruppe leben und sich mögen, einander ständig verjagen, ignorieren und ausgrenzen. So etwas gibt es nur dann, wenn die Hunde ein Problem miteinander haben und sich nicht leiden können. Und ausgerechnet so eine Konstellation sollten wir ja nun nicht unbedingt als Vorbild für unser Verhalten gegenüber unserem eigenen Familienmitglied nehmen.

Kehren wir noch mal zur körperlichen Gewalt bzw. Strafe zurück, denn auch da gibt es Menschen, die noch im 21. Jahrhundert ernsthaft Argumente pro Gewalt vertreten. Machen Sie hier nicht den Fehler, auf die Hundetrainer hereinzufallen, die sagen: „Wenn mein Hund Aggressionsverhalten zeigt, dann kann ich das nicht auf die sanfte Tour abtrainieren. Da muss ich ihm zeigen, wo der Hammer hängt.“ Denn dabei ist schon allein die Herangehensweise schlicht falsch. Es handelt sich um eine reine Symptombekämpfung: Er zeigt Aggressionsverhalten, also brate ich ihm eins über. Das setzt am falschen Punkt an.

Gutes Hundetraining setzt nicht an den Symptomen an, sondern an den Ursachen. Ich frage nicht: „Was tue ich, wenn der Hund sich so verhält?“ Ich frage: „Warum verhält der Hund sich so? Und was kann ich verändern, damit er gar keine Notwendigkeit mehr sieht, sich so zu verhalten?“ Auch das richtige Timing ist wichtig: Wenn ich weiß, dass mein Hund sich gleich in die Leine werfen und lospöbeln wird, dann warte ich natürlich nicht ab, bis das Unvermeidliche passiert, sondern ich werde vorher aktiv. Es gibt so viele Möglichkeiten, den Hund in eine positive, entspannte Stimmung zu bringen, bevor er sich in das unerwünschte Verhalten hineinsteigert. Man darf nur nicht immer in den Wenn-Dann-Kategorien denken, sondern muss lernen, vorausschauend zu handeln und flexibel zu agieren, statt immer nur zu reagieren. Und zwar ohne Gewalt.

Unerwünschtes und als störend empfundenes Verhalten entsteht zu 90 Prozent aus Aufregung. Ein völlig tiefenentspannter Hund tut selten etwas Unerwünschtes. Meist sind es doch eher die aufgeregten Verhaltensweisen, die uns ärgern, wie Bellen, Beißen, an der Leine zerren, andere Hunde attackieren, unkontrolliertes Herumspringen etc. Bei all diesen Dingen muss ich mich also fragen: „Warum und worüber regt sich der Hund so auf?“ Und: „Was kann ich tun, um die Situation entspannter zu gestalten, damit gar nicht erst so eine Aufregung entsteht?“ Wenn man in dieser Form an den Ursachen des Verhaltens ansetzt, erübrigt sich häufig weiteres Training sogar, denn die vom Hund als entspannter empfundene Situation bewirkt, dass er sich auch ruhiger verhält und der Mensch kein Problem mehr sieht.

Das Gleiche gilt, wenn ein Hund deshalb unerwünschtes Verhalten zeigt, weil er Schmerzen hat, was übrigens gar nicht so selten der Fall ist. Ohne eine vernünftige Schmerztherapie wird sich auch sein Verhalten nicht wirklich ändern. Auch hier gilt: Setzt man nicht an der Ursache an, sondern bekämpft nur die Symptome, wird man nicht viel erreichen.

Nun gibt es natürlich Ursachen, die man nicht beseitigen kann. Daher sage ich zum Beispiel bei territorialer Aggression gegenüber anderen Hunden, dass hier das Training Grenzen hat. Denn ich kann meinem Hund nicht „abtrainieren“, dass er es als Affront empfindet, wenn ein anderer Hund unerlaubterweise in seinem Revier herumspaziert. Ich kann die Situation aber auch nicht ändern, denn die öffentlichen Wege rund um unser Haus, die mein Hund als sein Revier betrachtet, dürfen von jedem Spaziergänger benutzt werden. Also ist das eine Ursache, die ich nicht abstellen kann.

Hier kommen jetzt besagte Hundetrainer und empfehlen, das Verhalten, dessen Ursache sich nicht beseitigen lässt, einfach durch Gewalt zu unterdrücken. Das mag auch auf den ersten Blick funktionieren. Aber: Ich warne dennoch deutlich davor, denn Gewalt hat immer Nebenwirkungen, die sich vorher schlecht einschätzen lassen.

Beispielsweise kann es sein, dass mein Hund den Leinenruck, den ich einsetze, um ihn vom Bellen abzuhalten, mit dem Anblick des anderen Hundes verknüpft und lernt: „Wenn ein anderer Hund auftaucht, tut das weh.“ Durch diese Fehlverknüpfung schaffe ich mir ein Problem, denn mein Hund wird in Zukunft vermutlich nicht mehr nur in seinem eigenen Revier aggressiv auf andere Hunde reagieren, sondern auch auf neutralem Gebiet, wo er früher verträglich war. Denn andere Hunde werden durch diese Erfahrung für ihn generell zu einer Bedrohung seines Wohlbefindens, die es schnell zu vertreiben gilt.

Genauso kann es sein, dass in dem Moment, in dem ich meinen Hund für das Bellen strafe, ein Kind in seinem Blickfeld auftaucht und er lernt: „Immer wenn ein Kind auftaucht, tut es weh. Kinder sind gefährlich.“ Und schon dehnen sich seine Aggressionen auch auf Kinder aus, obwohl er diese früher neutral gesehen hat.

Das Gleiche kann mit Fahrradfahrern, Skateboardern und allen möglichen auffälligen Personen oder Dingen passieren, die zufällig gerade anwesend sind – einschließlich mir selbst, denn natürlich merkt mein Hund, dass die Gewalt von mir ausgeht, und das zerstört sein Vertrauen in mich.

Und bleiben wir noch mal beim Leinenruck: Wenn ich an der Leine rucke, um meinen Hund zu strafen, dann kann das zu schmerzhaften Muskelverspannungen oder sogar Schäden an Kehlkopf und Halswirbelsäule führen. Und wie wir alle aus Erfahrung wissen, sind solche Schmerzen im Hals- bzw. Nackenbereich nicht gerade Stimmungsaufheller. Unser Hund hat also unter Umständen Schmerzen und ist deswegen noch grantiger als sonst. Er zeigt wieder Aggressionen, ich rucke wieder an der Leine. Die Schmerzen werden schlimmer. Er zeigt deshalb wieder Aggressionen, ich rucke wieder an der Leine. Die Schmerzen werden schlimmer …

Merken Sie’s? Das ist ein Teufelskreis, den wir uns selbst geschaffen haben. Und das auch noch völlig unnötig, denn es gibt so viele Möglichkeiten, eine Verhaltensänderung ohne Gewalt zu erreichen. Ein bisschen Kreativität ist dabei durchaus hilfreich, denn nicht jeder Hund ist gleich. Aber es gibt inzwischen viele gute und auch wirklich gewaltfrei arbeitende Trainer und auch viele gute Bücher zu dem Thema. Man ist nicht mehr allein auf weiter Flur und hat nicht mehr wie in den 1980ern nur den Schäferhundeverein um die Ecke als Orientierung, es gibt heutzutage viel mehr Möglichkeiten. Man muss sich nur umsehen und informieren.

Und haben Sie den Mut, für Ihren Hund einzustehen und laut und deutlich „nein“ zu sagen, wenn ein Trainer Sie zu etwas überreden will, was Ihnen nicht behagt. Ihr Hund ist Ihr Schützling, sein Wohlergehen liegt ganz allein in Ihrer Hand. Und Sie wissen ja, wie es bei Spiderman schon so treffend hieß: Mit großer Macht geht große Verantwortung einher.

(Inga Jung, April 2017)

 

 

 

 

 

 

Buchtipp: „Mein Hund macht nicht, was er soll“

 

Diesmal möchte ich auf ein Buch meiner lieben Trainerkollegin Katharina Henf aufmerksam machen, an die ich seit Jahren immer wieder gern bei Anfragen nach einem positiv arbeitenden Hundetrainer in der Richtung Ostholstein gelegenen Kieler Umgebung verweise. Das Buch „Mein Hund macht nicht, was er soll“ ist im Jahr 2014 im Cadmos Verlag erschienen.

Mein Hund macht nicht, was er soll

Katharina legt genau wie ich Wert auf eine liebevolle Hundeerziehung ohne den Einsatz von Mitteln, die über Angst, Schmerz oder Schreck wirken sollen. Stattdessen wird der Hund viel gelobt und seine positiven Eigenschaften gefördert, damit er mit viel Freude lernt, sich korrekt zu verhalten und aktiv mitzuarbeiten.

Der Titel des Buches „Mein Hund macht nicht, was er soll“ ist meiner Meinung nach ein wenig unglücklich gewählt, denn das Buch richtet sich in erster Linie an Hundeanfänger und zeigt ihnen, wie sie von Beginn an die Erziehung ihres vierbeinigen Familienmitgliedes so aufbauen, dass der Hund gar nicht erst dazu kommt, etwas Unerwünschtes zu tun.

So wird ausführlich beispielsweise auf den Aufbau eines verlässlichen Rückrufs, das Training zur Leinenführigkeit und Übungen zur Verbesserung der Aufmerksamkeit und Kooperation des Hundes unterwegs eingegangen. Der Clicker als Hilfsmittel wird erklärt und es wird erläutert, wie man ein Markersignal aufbaut und im Training einsetzt und warum das manchmal eine wertvolle Hilfe im Training sein kann.

Im weiteren Verlauf werden noch einige häufige Probleme angesprochen, die im Alltag mit Hunden auftreten, z.B. das Anpöbeln anderer Hunde an der Leine. Katharina erklärt, warum die Hunde sich so verhalten, und sie gibt wertvolle Tipps für das Training.

Das Buch ist sicherlich kein allumfassender Ratgeber, der sämtliche Problemkonstellationen abdeckt, dafür ist der Umfang mit gerade mal 75 Seiten Text auch zu gering. Es ist aber ein guter Einstieg in die positive Arbeit mit Hunden und bietet einige schöne Praxistipps insbesondere für Menschen, die noch nicht viel Erfahrung im Umgang mit Hunden haben. Oder natürlich auch für alle, die noch nicht so recht wissen, wie sie von den althergebrachten Erziehungsmethoden wegkommen können und eine Anleitung benötigen, um sich dem positiven Training zuzuwenden.

(Inga Jung, August 2016)

 

 

 

 

 

 

 

Aktion „Gelber Hund“

 

Seit etwa drei Jahren gibt es sie nun schon, die Aktion „Gelber Hund“. Die Idee dahinter ist, einen Hund, der mehr Abstand zu anderen Hunden braucht, durch eine gelbe Schleife oder ein gelbes Halstuch zu kennzeichnen, damit schon von weitem erkennbar ist, dass dieser Hund gerade keinen direkten Hundekontakt möchte.

Die Gründe können vielfältig sein: zum Beispiel ist der Hund durch eine Operation, eine Krankheit oder das Alter geschwächt oder hat Schmerzen und möchte deshalb nicht von anderen Hunden angerempelt werden – auch nicht auf freundlich gemeinte Weise.

Es könnte auch eine läufige Hündin sein oder ein Hund, der insgesamt eine große Individualdistanz hat und direkten Kontakt zu anderen Hunden nicht besonders schätzt. Oder der Hund hat schlechte Erfahrungen gemacht oder ist ungenügend sozialisiert und reagiert daher aus Unsicherheit aggressiv auf andere Hunde. Oder er hat eine ansteckende Krankheit.

Es ist ja eigentlich auch völlig egal, aus welchem Grund ein Hund Distanz zu anderen, ihm fremden Hunden braucht. Niemand sollte sich deswegen rechtfertigen müssen. Es ist eben so wie es ist. Die gelbe Farbe soll signalisieren, dass dem so ist und dass entgegenkommende Hunde bitte angeleint und auf Abstand gehalten werden sollten.

Ich finde diese Idee ganz wunderbar. Nur bezweifle ich, dass sie viel nützen wird. Denn die Realität sieht doch leider so aus:

Ich bin mit meiner Hündin, die ganz und gar keinen Wert auf direkten Kontakt zu fremden Artgenossen legt, unterwegs und mir kommt eine Hundehalterin mit ihrem freilaufenden Hund entgegen. Ich nehme meine Hündin an die Leine. Eigentlich sollte das allein vollkommen ausreichen, damit die mir entgegenkommende Person ihren Hund ebenfalls ohne große Umschweife anleint. Aber nein, keine Reaktion.

Ich suche nach einer Einbuchtung oder einem kleinen Trampelpfad, auf den ich ausweichen könnte, um nicht direkt auf den anderen Hund zuzusteuern, denn das würde meine Hündin bereits als Provokation deuten. Da ist leider nichts zu sehen, also drücke ich mich so weit es geht mit meinem Hund ins Gebüsch, lasse ihn sich setzen und schirme ihn mit meinen Beinen ab, um ihm Distanz zu dem hoffentlich gleich anstandslos vorbeigehenden Hund zu schaffen. Die mir entgegenkommende Hundebesitzerin zeigt immer noch null Reaktion.

Da sie nun schon recht nah ist, rufe ich ihr höflich entgegen: „Nehmen Sie bitte Ihren Hund an die Leine?“ Natürlich kommt prompt die patzige Antwort: „Wieso denn?“

Naja, inzwischen ist es eh zu spät. Der Hund hat uns entdeckt und kommt direkt auf mich und meine Hündin zu gerannt. Die Frau versucht halbherzig, ihn zu rufen, aber jetzt hört er natürlich nicht mehr. Er bleibt einen Zentimeter vor der Nase meiner Hündin stehen. Und meine Hündin rastet selbstverständlich völlig aus, angesichts dieser dreist direkten, viel zu schnellen, viel zu nahen und überhaupt in ihren Augen aggressiven Annäherung.

Ich weiß nicht, wie oft uns exakt diese Begegnung schon widerfahren ist. Ich kann es gar nicht mehr zählen, es war schon viel zu oft. Und jedes Mal ist ein Mal zu viel, denn es ist einfach nur unnötig und frustrierend für mich und meine Hündin, und dem anderen Hund tut der Schreck auch nicht wirklich gut.

Ich fürchte, wenn die Menschen schon auf die geballte Ladung körpersprachlicher Zeichen und eindeutiger sprachlicher Hinweise absolut keine Reaktion zeigen, dann wird so eine gelbe Schleife auch nicht viel nützen. Wenn man Pech hat, kommen sie dann erst recht mitsamt ihrer freilaufenden Hunde dicht heran, um einen zu fragen, warum der Hund denn so hübsch dekoriert ist. „Hat der Geburtstag? Komm, Bello, wir gehen da mal hallo sagen.“

Nein, meine Hündin möchte Bello nicht „hallo“ sagen. Meine Hündin möchte Bello viel eher „verschwinde aus meinem Revier und lass dich hier nie wieder blicken“ sagen.

Nicht jeder Hund ist so gesellig wie Bello. Nicht jeder Hund legt viel Wert auf Hundebekanntschaften. Manche Hunde sind froh, wenn andere sie einfach in Ruhe lassen. Aber es gibt leider Menschen, die das nie begreifen werden, und gegen die wird auch eine gelbe Schleife nichts ausrichten können. Ausprobieren kann das aber natürlich jeder gern. Vielleicht spricht es sich eines Tages wirklich so weit herum, dass auch Bellos Frauchen es begreift.

(Inga Jung, August 2015)

 

Hundetraining im Fernsehen

Wer als Hundeverhaltensberater tätig ist, sollte sich eigentlich die gängigen „Hundeflüsterer/in“-Sendungen im Fernsehen regelmäßig anschauen. Nicht etwa weil die so toll wären, sondern allein um zu wissen, wovon die Kunden sprechen, wenn sie in der Beratungsstunde die letzte Sendung von Trainer/in Sowieso erwähnen. Ich weiß, ich sollte mir möglichst alle diese Fernsehformate häufig ansehen, um Antworten zu haben, wenn ich nach den angewandten Methoden gefragt werde.

Aber ich ertrage es einfach nicht, wie diese Serien – sender- und trainerübergreifend – aufgemacht sind.

Es geht immer gleich los: Zuerst wird der Trainer, natürlich mit der entsprechenden Musik und hübschen Bildern untermalt, als eine Art Wunderheiler vorgestellt.

Dann wird ein Hund gezeigt, der extra für die Sendung enorm gestresst und provoziert wurde, damit er auch die gesamte Palette des Aggressionsverhaltens der Kamera zeigt. Oftmals verhalten sich Menschen dem Hund gegenüber bedrohlich, und dieser flippt natürlich aus, weil er angesichts der aufregenden Situation mit den Nerven am Ende ist. Währenddessen erklingt eine düstere Musik, und ein Sprecher oder eine Sprecherin bezeichnen den Hund als Bestie und tickende Zeitbombe.

Spätestens jetzt muss ich oftmals schon wieder ausschalten, denn allein diese Art der Darstellung und die grundlose Provokation des Hundes machen mich so unglaublich wütend, dass ich gar nicht in der Lage bin, mich auf das Folgende zu konzentrieren.

Schaffe ich es wider Erwarten doch hin und wieder einmal, mir die Sendung weiter anzuschauen, dann ist es im weiteren Verlauf oft der Trainer oder die Trainerin, der/die den Hund erneut so stark provoziert, dass er aggressiv reagieren muss. Alles für die Kamera, damit der Trainer/die Trainerin auch noch einmal dem Publikum bestätigen kann, dass es sich bei dem Hund wirklich um eine reißende Bestie handelt. Aber Gott sei Dank ist jetzt der Wunderheiler-Trainer da. Der Hund ist inzwischen nervlich so am Ende, dass er mit Sicherheit glaubt, alle Menschen wollten ihn umbringen. –  Und wohlgemerkt, das wird natürlich grundsätzlich als gewaltfreies und effektives Training verkauft!

Jetzt spätestens ist es für mich wirklich so weit, dass ich umschalten muss, denn zu sehen, wie der Hund hier auch noch für das werte Publikum gequält und seine Ängste durch den Wunderheiler-Trainer verstärkt werden, macht mich einfach nur fertig. Gibt es nicht auch ohne Tierquälerei schon genug Action im Fernsehen? Ist es wirklich notwendig, hier einen Hund zum nervlichen Wrack zu machen, nur damit alle sehen, wie „bissig“ er ist? – Nach dieser Sendung wird er es vermutlich wirklich sein …

Manchmal, wenn ich einen wirklich guten, nervenfesten Tag habe, bin ich in der Lage, mir die Sendung bis zum Ende anzusehen. In der Regel gibt es nach zahllosen Provokationen, dem Spritzen mit Wasser, dem Werfen von Schepperdosen, dem Würgen des Hundes oder anderen Maßnahmen, von denen die meisten das Problem des Hundes verstärken, dann eine wundersame „Heilung“. Diese „Heilung“ stellt sich so dar, dass der Hund meist in Zeitlupe gefilmt wird, was seine Bewegungen viel ruhiger erscheinen lässt, das Ganze im Sonnenschein und mit wunderschöner, harmonischer Musik untermalt. Dem Zuschauer wird ein Happy End suggeriert, auch wenn sich bei genauem Hinsehen am Verhalten des Hundes überhaupt nichts geändert hat. Er hat immer noch dieselben Probleme wie zuvor, nur vermutlich noch eine Spur stärker, aber für die Schluss-Szenen wird er natürlich nicht extra provoziert, sondern da lässt man ihn nun endlich in Ruhe. So bekommt man dann auch ganz einfach einen Hund, der kein Aggressionsverhalten zeigt – denn endlich hat er mal keinen Grund mehr, sich zu verteidigen. Eine wirkliche Lösung ist nicht in Sicht, aber dem Zuschauer wird mit diversen filmischen Mitteln auf einfache Weise ein Heile-Welt-Gefühl suggeriert. Bei dieser Musik kann schließlich kein Hund mehr aggressiv sein …

Das Schlimmste an diesen Sendungen ist, dass so viele Leute den Unsinn, der da erzählt wird, tatsächlich glauben und das an ihrem eigenen Hund ausprobieren. Die Hunde entwickeln reihenweise Ängste und zum Teil sogar massive Verhaltensprobleme, nur weil ihre Besitzer vollkommen gedankenlos die „Methoden“ aus den Hundetrainer-Serien anwenden. Damit tragen die Fernsehsender eine riesige Verantwortung. Viele dieser Sendungen sind durchaus tierschutzrelevant, weil durch ein Nachmachen der gezeigten Methoden vor allem bei sensiblen Hunden erhebliches Leid verursacht werden kann.

Da ein wirklich gutes und effektives Hundetraining eben keine Aggressionen provoziert, sondern unterhalb der Reaktionsschwelle ansetzt und somit für Außenstehende sterbenslangweilig aussieht, wird es mit Sicherheit keine tollen Einschaltquoten erzeugen. Daher bin ich der Meinung, dass das Hundetraining im Fernsehen überhaupt nichts zu suchen hat. Warum konzentrieren wir uns nicht lieber auf belanglose Themen, die weder Mensch noch Tier wehtun? Es gibt doch genug, worüber man sonst noch berichten kann.

(Inga Jung, April 2014)

Hundetraining ist Hilfe zur Selbsthilfe

 

Früher war es üblich, seinen Hund zur Ausbildung wegzugeben und ihn „fertig erzogen“ zurückzubekommen. Doch kam es schon recht früh zu einem Wandel, denn diese Art der Hundeerziehung funktionierte einfach nicht. Der Hund lernte zwar die Kommandos, aber da Hunde alles, was sie lernen, mit der gesamten Umgebung und allen anwesenden Begleitumständen verknüpfen, war der Hund in der Regel zu Hause bei seinem Besitzer nicht in der Lage, das Gelernte umzusetzen. Das gesprochene Wort war vielleicht das Gleiche, aber der Mensch war anders, er verhielt sich anders, die Umgebung war anders – der Hund war verwirrt und wusste nicht, was von ihm verlangt wurde.

Heute wissen wir viel mehr über das Lernverhalten von Hunden. Wir wissen, wie wichtig die Generalisierung des Gelernten mit verschiedenen Orten und Gegebenheiten ist. Wir wissen auch, wie wichtig es ist, Ablenkungen nur langsam zu steigern. Und wir wissen, dass der Hund in erster Linie auf unsere Körpersprache achtet.

Dieses Wissen führt zu einer sehr wichtigen Erkenntnis: Der Hund und sein Mensch müssen gemeinsam lernen und der Mensch muss wesentlich mehr an sich und seinem Verhalten arbeiten als der Hund. Daran führt einfach kein Weg vorbei.

Und dieses Lernen und An-sich-Arbeiten betrifft nicht nur die Grunderziehung, sondern das gesamte Zusammenleben von Mensch und Hund. Denn je besser der Mensch versteht, wie sein Hund die Welt sieht, desto weniger Schwierigkeiten wird er im Alltag mit seinem Hund haben.

Oft erlebe ich es, dass Menschen mich völlig verzweifelt anrufen und um Hilfe bitten, weil ihr Hund einfach nicht das tut, was sie von ihm erwarten. Sie sehen sich im täglichen Leben ständig in der Auseinandersetzung mit ihrem Hund, sie sind gestresst und genervt und wissen nicht weiter. Und doch liegen die Ursachen dieser zunächst riesig erscheinenden Probleme häufig nur in kleinen Missverständnissen. Sehr oft reicht es dann völlig aus, wenn ich diesen Menschen erkläre, warum ihr Hund sich so verhält und dass er aus seiner eigenen Logik heraus gar nicht anders kann. Diese Erkenntnis, dass ihr Hund überhaupt nicht ärgern und stressen will, sondern einfach seinen Impulsen folgt, und das damit verbundene Umdenken in den Köpfen der Hundebesitzer ist manchmal alles, was an „Therapie“ nötig ist. Dadurch, dass sie ihren Hund mit anderen Augen sehen und besser verstehen, wird ihr gesamter Umgang mit ihm entspannter, und die Probleme erledigen sich von selbst.

Natürlich ist es nicht jedes Mal so einfach. Aber sehr häufig basieren Schwierigkeiten zwischen Mensch und Hund auf Missverständnissen – nicht selten erst provoziert durch einschlägige Hundeerziehungssendungen im Fernsehen, in denen alte, überholte Konzepte gepredigt werden.

Hundetraining ist keine Zauberei. Es ist Hilfe zur Selbsthilfe. Ich möchte meinen Kunden, den Lesern meines Blogs und auch den Teilnehmern meiner Kurse und Seminare in erster Linie vermitteln, wie sie sich in die Welt ihres Hundes hineinversetzen können. Ich möchte ihnen zeigen, wie ihr Hund das, was er tut, meint. Denn nur auf der Basis dieses Wissen ist es möglich, eine hundegerechte Erziehung aufzubauen und selbst Lösungen für Probleme zu finden. Oder zu erkennen, dass ein vermeintliches Problem vielleicht in Wirklichkeit gar keines ist.

(Inga Jung, Januar 2014)