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Partnerschaft statt Kadavergehorsam

Als Hundetrainer lernt man viele unterschiedliche Menschen und ihre Hunde kennen, und es ist immer wieder spannend, das Zusammenspiel und die Dynamik des jeweiligen Mensch-Hund-Teams zu sehen. Dabei ergeben sich viele interessante, schöne und zuweilen auch kuriose Erlebnisse.

Hin und wieder kommt es vor, dass mich Menschen um meine Einschätzung bitten, weil sie der Meinung sind, ihr Hund sei fürchterlich stur. Ich bin immer gerne bereit, mir diese vermeintliche Sturheit einmal anzuschauen, denn jeder Hund ist anders und es gibt so viele verschiedene Charaktere, dass auch ich mich gern von neuen individuellen Ideen der Hunde überraschen lasse.

Wir sind also gemeinsam auf einem Spaziergang unterwegs und der Hundebesitzer verlangt von seinem Hund innerhalb einer knappen Stunde etwa dreißigmal in verschiedenen Situationen sich hinzusetzen. Der Hund wird immer zögerlicher und stellt am Ende seine Ohren komplett auf Durchzug – meiner Ansicht nach die erste sinnvolle Aktion, die ich auf diesem Spaziergang gesehen habe. Nun schaut mich der Hundebesitzer triumphierend an und meint: „Sehen Sie! Total stur!“

Auf meine vorsichtige Frage hin, warum der Hund sich denn andauernd setzen soll, schaut man mich zunächst völlig verständnislos an. Dann erhalte ich die Antwort, man habe in der Hundeschule gelernt, dass ein Hund sich an jedem Bordstein, an jeder Einfahrt, an jeder Ecke und zu zig anderen Gelegenheiten grundsätzlich hinzusetzen habe – selbstverständlich bei Regen, bei Schnee, im Matsch und bei allen sonstigen Wetterlagen.

Das reicht mir aber nicht als Erklärung und ich frage, wo denn der Sinn dahinter sei. Denn an der Straße hält ein vernünftiger Mensch seinen Hund ohnehin immer an der Leine, und dann genügt es doch, wenn er am Bordstein und an Einfahrten stehen bleibt. Hinsetzen ist eigentlich unnötig, erst recht bei der aktuellen ungemütlichen Wetterlage.

Und still und heimlich denke ich mir noch: Wenn ich ein Hund wäre, hätte ich vermutlich weniger Geduld mit meinem Menschen als dieses Exemplar hier, und ich würde schon nach dem zweiten sinnlosen Sitz-Kommando einen plötzlichen Anfall von Taubheit simulieren …

Daraufhin starrt man mich nur an. Ja, darüber hätte man noch gar nicht nachgedacht.

Ich finde es natürlich schön, wenn sich solche Verständigungsprobleme zwischen Hund und Mensch so einfach aufklären lassen und ich dazu beitragen kann, dass beide sich ein wenig besser kennenlernen. Aber doch machen mich solche Begebenheiten auch oft nachdenklich, denn ist es nicht bedenklich, dass in dieser Zweierkonstellation der Hund derjenige ist, der die Dinge kritisch sieht? Sollte es nicht eigentlich Aufgabe des Menschen sein, Verantwortung zu übernehmen und nicht alles unkritisch zu glauben, sondern sich eine eigene Meinung zu bilden?

Am schlimmsten finde ich es immer, wenn ich sehe, wie bei eiskalten Temperaturen sogar Hundesenioren, die ganz offensichtlich arge Gelenkschmerzen haben, noch eisern an jeder Straße gezwungen werden sich hinzusetzen. Wie unreflektiert und gefühlskalt kann man als Hundebesitzer sein, wenn man das vor Schmerzen angestrengte Gesicht des alten Hundes ignoriert und von ihm weiterhin alle paar Minuten ein Sitz verlangt, nur weil man das schließlich immer so gemacht hat?

Ich kann nur allen Hundebesitzern raten, nicht alles zu glauben, was sie lesen, im Fernsehen sehen oder auf der Hundewiese hören, sondern sich Gedanken zu machen, ob diese Erziehungstipps wirklich sinnvoll sind und ob sie ihrem Hund guttun. Das gilt natürlich vor allem für jede Form von Gewalt in der Hundeerziehung, die in aller Regel völlig unnötig ist. Aber es kann auch schon bei einem einfachen „Sitz“ anfangen.

Unsere Hunde sind Hunde und keine Soldaten. Sie müssen nicht jedem noch so sinnlosen Kommando gehorchen, sondern sie haben das Recht, auch mal zu protestieren. Wir alle wollen intelligente Hunde haben, aber wir ärgern uns, wenn sie ihre Intelligenz unter Beweis stellen. Wir sollten uns überlegen, was uns wichtig ist: Wollen wir einen Hund, der sich verhält wie eine Maschine? Oder wollen wir ein Lebewesen, das Gefühle zeigt, das aber auch einen eigenen Willen und manchmal wirklich überraschende eigene Ideen hat? Letzteres ist es doch, was die eigentliche Faszination am Leben mit dem Hund ausmacht. Wenn unsere Hunde keine Macken und keine lustigen Einfälle hätten, sondern immer nur nach unserer Pfeife tanzen würden, hätten wir doch nur halb so viele tolle Geschichten über sie zu erzählen.

(Inga Jung, Januar 2014)