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Vorsicht, Hund am Auto

Als ich vor 15 Jahren meinen Hund bei der Steuer anmeldete, flatterte mir dazu als obligatorisches Begleitschreiben das Schleswig-Holsteinische Hundegesetz ins Haus, in dem alles enthalten ist, was ein Hund hierzulande nicht darf. Das ist eine ganze Menge; manches war logisch und manches erschien mir damals auch unsinnig.

Aber absolutes Kopfschütteln bereitete mir der Absatz, dass es verboten ist, einen Hund am Auto spazieren zu führen. Das war doch wohl selbstverständlich, dass man das nicht tut. Dass so etwas überhaupt erwähnenswert war, fand ich seltsam.

Als Stadtkind, dem das Landleben nur von kurzen Besuchen bei der Verwandtschaft geläufig war, kannte ich Hunde, die mit ihren Menschen an der Leine oder ohne Leine spazieren gingen oder neben dem Fahrrad herliefen. Auf die Idee, man könnte einen Hund auch am Auto Gassi führen, wäre ich im Leben nicht gekommen. Und es wäre mir auch völlig absurd erschienen angesichts der Gefahr, der man den Hund dabei aussetzt. Immerhin lassen sich vom Auto aus die Bereiche vor den Rädern nicht einsehen.

Wie wichtig und sinnvoll dieser Absatz doch ist – und wie wenig er leider beachtet wird – wurde mir erst bewusst, als ich einige Jahre später aufs Land zog. Denn, man glaubt es kaum, hier ist das leider gang und gäbe. Nicht nur irgendwann vor 50 Jahren, sondern auch heute noch.

Besonders auf bestimmten Strecken muss man jederzeit damit rechnen, dass dem Auto, das einem auf dem Weg entgegenkommt, noch einige Hunde hinterherlaufen. Bei langsam fahrenden Fahrzeugen muss man besonders auf der Hut sein.

Ist man mit einem unverträglichen Hund unterwegs, dann sind das meist sehr unangenehme Begegnungen, denn man darf keinesfalls erwarten, dass der Fahrer in irgendeiner Weise mitdenkt oder sich auch nur ansatzweise höflich verhält und seine Hunde zumindest für kurze Zeit ins Auto holt, wenn ihm ein angeleinter Hund begegnet.

Da wird einfach draufgehalten, nach dem Motto, passiert schon nichts. Und wenn doch, dann ist das auch egal. Das ist schließlich auch die Devise, nach der die gesamte „Spazierfahrt“ abläuft: Passiert schon nichts. Und wenn ein Hund doch unter den Rädern des Autos landet, dann hat er halt Pech gehabt. Da rennen dann teilweise bis zu vier Jack Russell Terrier wild ums Auto herum und unter dem Auto durch und müssen eben selbst zusehen, dass sie diese riskanten Manöver überleben.

Wenn man als Mensch, der mit seinem unverträglichen angeleinten Hund des Weges geht, Glück hat, dann bemerkt man die Hunde zumindest, bevor das Auto mitsamt Anhang einen erreicht hat, und kann noch weit aufs Feld ausweichen. In der Hoffnung, dass die Hunde einem dorthin nicht nachrennen. Denn der Fahrer hat natürlich null Einfluss auf die freilaufende Horde. Und wenn man dann nochmals ganz viel Glück hat, ist auf besagtem Feld nicht gerade frische Gülle gefahren worden …

Bei einer dieser Begegnungen konnte ich nicht mehr ausweichen, weil das Auto mitsamt Anhang kurz vor mir über eine Hügelkuppe gefahren kam. Der Fahrer kurbelte das Fenster runter und sagte, er habe da ein paar Hunde hinter dem Auto, aber die täten nichts. Daraufhin meinte ich: „Meiner aber.“ Was ihn nur zu dem lapidaren Kommentar: „Dann haben Sie Pech gehabt“ veranlasste, und er fuhr seelenruhig weiter. Glücklicherweise waren es diesmal nur zwei der Jack Russell Terrier, und sie wichen der natürlich wild kläffenden Luzi aus. Aber ich war nach dieser Begegnung schweißgebadet, denn das hätte auch ganz anders ausgehen können.

Ich frage mich oft, wie man sich als Mensch bloß zu so einem – Verzeihung – ignoranten Arschloch entwickeln kann. Wenn ihm schon das geltende Gesetz und seine Hunde egal sind, dann sollte er doch zumindest anderen Menschen gegenüber eine gewisse Höflichkeit an den Tag legen. Aber gegenseitige Rücksichtnahme ist wohl einfach nicht jedermanns Sache.

Natürlich habe ich bisher von einer bestimmten Person gesprochen, die hier ganz besonders durch dieses unverschämte Verhalten auffällt. Es gibt aber noch weitere Menschen, die ihre Hunde regelmäßig am Auto Gassi führen. Doch die sind glücklicherweise nicht so beispiellos rücksichtslos, sondern nehmen ihren Hund meistens zumindest dann ins Auto, wenn ihnen ein Spaziergänger mit angeleintem Hund auf dem Weg begegnet.

Trotzdem sind die Gefahren für den Hund natürlich nicht zu vernachlässigen. Vor etwa einem Jahr meldete eine Zeitung, dass eine junge Frau ihren alten Hund beim „Spazierenfahren“ mit dem eigenen Auto überfahren habe. Das passiert natürlich schnell, wenn ein Hund alt wird und schlechter sehen und hören kann. Dann ist das Auto, dem er sein Leben lang geschickt ausgewichen ist, rasch eine tödliche Gefahr.

Ein älterer Nachbar erzählte mir vor einigen Monaten lachend, er habe auch mal einen Hund gehabt. Der sei ihm beim Gassifahren dreimal in den Radkasten gesprungen, habe das aber alles überlebt, so zäh war der. Bei solchen Erzählungen läuft es mir kalt den Rücken runter. Aber hier auf dem Dorf haben Tiere bei vielen Menschen noch einen ganz anderen Status. Das ist dann „nur ein Hund“, und wenn der unters Auto gerät, dann holt man sich eben einen neuen.

Aber selbst wenn man noch dem so veralteten und doch so verbreiteten Glauben anhängt, es sei „doch nur ein Tier“ und somit weniger wert als ein Mensch, dann werde ich doch niemals verstehen, wie man sich anderen Spaziergängern gegenüber so rücksichtslos verhalten kann. Einfach mit den frei am Auto laufenden Hunden weiterzufahren, wenn einem jemand entgegenkommt, das ist so ein offensichtlicher Stinkefinger dem anderen gegenüber, dass ich es kaum fassen kann.

Selbst wenn der Spaziergänger keinen Hund dabei hat, könnte er doch Angst vor Hunden haben. Auch dann muss ich meine Hunde so bei mir halten, dass ich sie unter Kontrolle habe und sie den Spaziergänger nicht belästigen oder verängstigen können. Und wie soll das vom Steuer des Autos aus geschehen? Da besteht überhaupt keine Möglichkeit der Einflussnahme.

So ein Verhalten ist nicht nur rücksichtslos und unhöflich, es ist auch grob fahrlässig und gefährlich.

(Inga Jung, April 2019)

Buchtipp: „Medical Training für Hunde“

Es wird Zeit für eine Wiederaufnahme der Buchtipps:

Heute möchte ich das ganz wundervolle und rundum gelungene Buch „Medical Training für Hunde. Körperpflege und Tierarztbesuche vertrauensvoll meistern“ von Anna Oblasser-Mirtl und Barbara Glatz vorstellen.

Es wird zunächst beschrieben, wie Hunde eine unter Zwang durchgeführte Dusche, Schur oder das Krallenschneiden empfinden und dass sie dabei oft in enormen Stress geraten, bis hin zu Angstzuständen, weil sie einfach nicht wissen, was der Mensch mit ihnen vorhat.

Dabei ist es gar nicht so schwer, einem Hund Schritt für Schritt zu zeigen, was man tun möchte, und ihn sogar aktiv mitwirken zu lassen. Diese aktive Gestaltungsmöglichkeit gibt dem Hund Sicherheit und das gute Gefühl, dass ihm nichts Schlimmes geschehen wird.

In diesem kleinen Büchlein werden nun zahlreiche Situationen beschrieben und sehr praxisnahe, in kleinen Schritten aufgebaute Trainingstipps gegeben. Beispielsweise kann der Hund lernen, seinen Kopf auf den Schoß des Menschen zu legen und dort zu lassen, während seine Ohren untersucht werden. Oder er lernt, auf eine Matte zu treten und dort stehen zu bleiben, während er vom Tierarzt geimpft wird.

Dabei hat er stets die Möglichkeit, dieses Verhalten zu unterbrechen und dadurch eine Pause einzufordern, wenn es zu viel für ihn wird. Damit das in der realen Anwendung beim Tierarzt nicht geschieht, muss das gesamte trainierte Verhalten sorgfältig generalisiert werden.

Wer jetzt tief durchatmet, dem sei gesagt: Ja, stimmt, das ist eine ganze Menge Arbeit. Aber was ist diese Arbeit schon, wenn man im Gegenzug einen Hund bekommt, der sich beim Tierarzt vertrauensvoll und ruhig untersuchen lässt, sich freiwillig auf dem Röntgentisch in die Seitenlage legt und zum Blutabnehmen sogar die Pfote reicht? Was für ein Traum!

Dafür ist allerdings auch ein kooperativer Tierarzt vonnöten. Um die Abläufe trainieren und den Hund optimal vorbereiten zu können, muss man sich vorher die genaue Information vom Tierarzt holen, was denn eigentlich gemacht wird. Und das ist meiner Erfahrung nach nicht so einfach. Da trainiert man beispielsweise das Blutabnehmen an der Vorderpfote, und dann besteht der Tierarzt auf einmal darauf, am Hinterlauf Blut abzunehmen. Oder es wird vorher gesagt, dass für die Ultraschalluntersuchung nur der Bauch rasiert sein muss und der Hund dabei stehen darf, aber in der Praxis stellt sich heraus, dass doch eine Rasur des Brustkorbs nötig ist und der Hund liegen muss. Dann ist alles Training auf einmal für die Katz.

So etwas darf nicht passieren, daher sind das Vertrauensverhältnis zum Tierarzt und die Verlässlichkeit seiner Aussagen hier ebenso wichtig wie das fleißige Trainieren.

Ebenso muss der Tierarzt einverstanden sein, dass man auch bei ihm in der Praxis übt, denn sonst ist eine ausreichende Generalisierung nicht möglich.

Das Buch gibt aber nicht nur Tipps für Tierarztbesuche, sondern auch für all die Dinge, die man selbst zu Hause machen kann: vom Krallenschneiden über die Ohrenpflege und das Zähneputzen, bis hin zum Fiebermessen und dem Verbinden von Verletzungen sowie dem Duschen des Hundes und dem Scheren des Fells und noch weiteren Alltagssituationen. All das wird früher oder später in einem Hundeleben mal benötigt, und es ist sinnvoll, es mit dem Hund zu üben, damit er freiwillig und gern mitarbeitet.

Wer sich unter den Beschreibungen der Trainingsschritte im Text nicht genug vorstellen kann und das Ganze gern einmal in der Praxis sehen möchte, der findet im Anhang des Buches auch noch einige Video-Links, in denen die wichtigsten Abläufe gezeigt werden. Zusätzlich sind zahlreiche Fotos im Buch, die die trainierten Verhaltensweisen illustrieren.

In unseren heutigen Zeiten, in denen Hunde immer mehr zu geliebten Familienmitgliedern werden, ist es wirklich kaum zu begreifen, warum sie zu so einfachen Dingen wie dem Krallenschneiden nach wie vor so oft gezwungen werden. Obwohl das doch gar nicht nötig ist. Das Buch setzt hier an und zeigt auf, dass es auch ganz anders geht. Eine wirklich runde Sache, wie ich finde. Mit sehr viel Liebe und Verständnis für die vierbeinigen Patienten geschrieben.

(Inga Jung, Mai 2017)

 

 

 

 

 

 

Ist mein Hund wirklich glücklich?

Hund zu sein ist in unserer Gesellschaft schwierig geworden. Die Erwartungen an unsere „modernen“ Hunde sind immens. Und wenn die Menschen dann auch noch veralteten Erziehungsratschlägen, wie z.B. den längst überholten Rangordnungsmodellen, folgen, dann verstehen unsere armen Hunde schnell die Welt nicht mehr. Es ist oft ein schmaler Grat zwischen geliebtem Haustier und gequälter Seele. Und die Menschen scheinen in vielen Fällen noch nicht einmal zu merken, was sie ihrem Hund antun.

Überprüfen wir doch mal ganz ehrlich und selbstkritisch unsere eigene Erwartungshaltung an unseren Hund. Wie wünschen wir uns unseren Hund? Wie soll er sein? Wie soll er sich verhalten? Wie viel Freiheit gestehen wir ihm zu?

Häufig höre ich dann Antworten wie: „Mein Hund darf sehr viel, aber das muss er schon können und hier muss er sich so verhalten und dort darf er natürlich nicht …“ Und schon hat man wieder eine ellenlange Liste von Einschränkungen, Ge- und Verboten und absoluten Tabus. Das ist leicht verständlich, denn es sind nicht nur unsere eigenen Erwartungen, sondern es lastet auch ein gesellschaftlicher Druck auf uns Hundehaltern. Da müssen wir uns anpassen. Und das ist ja auch richtig so.

Ich möchte nur davor warnen, hier einen ungesunden Perfektionismus zu entwickeln und dem Hund Dinge abzuverlangen, die er gar nicht leisten kann. Es geht nicht nur um uns. Wichtig ist nicht nur das, was wir uns von unserem Hund wünschen. Wir müssen uns auch fragen, was sich unser Hund von uns wünscht. Versetzen wir uns doch mal in seine Lage. Aus seiner Sicht ist unsere Welt unfassbar kompliziert und unverständlich. Er braucht unsere Anleitung und unseren Schutz, um zurechtzukommen.

Ich selbst war früher auch so ein Mensch. Als ich meinen ersten Hund hatte, da habe ich immer die Menschen bewundert, die mit ihrem unangeleinten Hund durch die Stadt liefen, denen der Hund problemlos frei durch das dichteste Menschengetümmel folgte und selbst an stark befahrenen Kreuzungen absolut verlässlich zu sein schien. Und ich sage bewusst „zu sein schien“, denn inzwischen habe ich tragischerweise genug solche Hunde gesehen, die unter einem Auto gelandet sind, weil die absolute Verlässlichkeit einfach ein Trugschluss ist. Es braucht nur einen kleinen Reiz wie ein Eichhörnchen auf der anderen Straßenseite oder eine Handbewegung des Menschen, die der Hund falsch als Signal zum Loslaufen gedeutet hat, und schon ist das Unglück passiert. Womit wir wieder bei Menschen wären, die von ihrem Hund einfach zu viel verlangen. Und auch wieder bei meinem eigenen Beispiel.

Damals habe ich mir immer gesagt, beim nächsten Hund wird alles anders. Und als ich dann endlich meinen nächsten eigenen Hund bekam, da wollte ich, dass dies der perfekte Hund wird. Ich bin damals für mein heutiges Empfinden sehr hart mit meinem Hund umgegangen. Geblendet von den gängigen Rangordnungstheorien und geleitet von dem Gedanken, mein Hund müsse mich überallhin begleiten, habe ich überhaupt nicht erkannt, was für eine zarte, empfindsame Seele da an meiner Seite war. Viele Wünsche meines Hundes habe ich unterdrückt, weil sie nicht zu meiner Vorstellung passten. Ich habe sogar körperliche Maßregelungen wie den Schnauzgriff angewandt, und das bei einem Hund, dessen Welt schon zusammenbricht, wenn man ihn nur einmal mit einem tadelnden Blick ansieht. Etwas, das ich mir nie verzeihen werde.

Wie konnte ich nur so dumm und blind sein? In meinem egoistischen Bestreben, den perfekten Hund zu bekommen, habe ich gar nicht bemerkt, dass dieses liebevolle, zarte, harmoniesüchtige Wesen bereits von dem Moment seiner Geburt an absolut perfekt war.

Heute läuft es anders bei uns. Bevor ich meine Hunde auf einen Ausflug mitnehme, überlege ich mir, ob sie dabei auch Spaß haben, oder ob sie vielleicht glücklicher wären, wenn ich sie zu Hause lasse.

Ich gehe einzeln mit meinen sehr unterschiedlichen Hunden spazieren, weil sie beide zufriedener sind, wenn ich ganz auf ihre Bedürfnisse eingehen kann und sie nicht jeden Tag Kompromisse machen müssen. Das ist anstrengend für mich, aber es ist auch wunderschön, weil ich so die Möglichkeit habe, mich täglich intensiv mit den Hunden einzeln zu befassen, was bei einem gemeinsamen Spaziergang nicht machbar wäre.

Ich freue mich darüber, dass meine inzwischen alte Hündin ihre Meinung äußert und mir zeigt, auf welchem Spazierweg sie heute Gassi gehen möchte und wo nicht. Und mir geht das Herz auf, wenn ich sehe, wie glücklich sie ist, weil ich auf sie achte und ihren Wünschen folge. Das ist eine Erfahrung, die sie als junger Hund nie machen durfte.

Es geht mir nicht mehr darum, was ich gerne möchte, und vor allem geht es mir nicht mehr um das, was andere von mir und meinem Hund denken. Es geht mir nur noch um das Glück meiner Hunde, auch wenn das für mich manchmal anstrengend ist.

Das heißt natürlich nicht, dass meine Hunde tun und lassen dürfen, was sie wollen. Sobald sie sich selbst oder andere in Gefahr bringen könnten oder sich auch nur jemand von ihnen belästigt fühlen könnte, greife ich selbstverständlich ein und nehme sie an die Leine. Auch der zuverlässige Rückruf ist wichtig, um Gefahren abzuwenden. Aber ich stelle keine unnötig hohen Anforderungen mehr an meine Hunde. Sie müssen nichts tolerieren, was sie nicht wollen. Ich verlange zum Beispiel nicht von ihnen, dass sie still stehen und sich von einem Fremden streicheln lassen, nur weil ich das gerade möchte. Ich weiß, dass meine Hunde das beide nicht gern mögen, und dann haben sie auch absolut das Recht, es zu verweigern. Ich will schließlich auch nicht von jedem Fremden angefasst werden, also warum sollte ich von meinen Hunden etwas verlangen, was ich selbst noch nicht einmal tun würde.

Die Augen geöffnet hat mir im Grunde unsere Hündin Luzi, die einen sehr speziellen, anstrengenden, aufbrausenden Charakter hat und anfangs auch sehr unsicher war. Mit ihr war von Anfang an nichts von all dem, was ich mit meiner älteren Hündin gemacht habe, möglich. Kneipenbesuche, Einkaufsbummel, Begegnungen mit fremden Menschen – alles absolut unvorstellbar. Ich musste all meine Ansprüche auf null herunterschrauben.

Es ist erstaunlich, wie es den eigenen Blickwinkel verändert, wenn man mit einem Hund unterwegs ist, bei dem man schon froh ist, wenn er einen Passanten, der ihn im Vorbeigehen kurz angeschaut hat, nicht sofort angreift. Mir wurde erst im Alltag mit Luzi klar, wie viel ich von meinem anderen Hund verlangt hatte. Und dass es keinesfalls selbstverständlich ist, dass ein Hund in unserer verwirrenden, aufregenden modernen Welt zurechtkommt, ohne durchzudrehen.

Durch diese Veränderung meines Blickwinkels habe ich auch die Anforderungen an meinen anderen Hund zurückgedreht, ihm mehr Freiheiten gelassen und weniger von ihm verlangt. Ihn nicht mehr überallhin mitgenommen und ihm mehr Halt gegeben. Und siehe da, er wurde auf einmal viel fröhlicher, alberner, verspielter, und das bis ins hohe Alter. Es tat ihm gut, diese Last nicht mehr tragen zu müssen. Wäre mir das nur vorher schon aufgefallen, dann hätte ich ihm einiges erspart.

Wir müssen unsere egozentrische Weltsicht, die für uns Menschen so typisch ist, überdenken. Wir müssen anfangen, uns wirklich ehrlich zu fragen, ob wir nicht zu viel von unseren Hunden wollen. Ob sie nicht glücklicher wären, wenn wir ihnen einfach mehr Schutz und Geborgenheit bieten und nicht ständig das Unmögliche von ihnen fordern. Wir müssen uns in unsere Hunde hineinversetzen und die Welt aus ihrem Blickwinkel betrachten.

Und ist es wirklich notwendig, dass unser Hund uns überallhin begleitet? Ich denke, er wäre manchmal vielleicht doch zufriedener, wenn er zu Hause auf dem Sofa in aller Ruhe ein Schläfchen machen und darauf warten dürfte, dass seine Menschen vom Stadtfest, das sie ohne ihn besucht haben, zurückkehren.

Muss ein Hund es erdulden, dass sich eine ganze Kindergartengruppe schreiend um ihn schart und lauter klebrige, kleine Hände ihn anfassen? Auch wenn das für die Kinder sicherlich eine pädagogisch wertvolle Erfahrung ist – ich möchte in so einer gruseligen Situation nicht in der Haut dieses Hundes stecken.

Unsere Hunde haben nicht die Wahl. Sie sind unseren Entscheidungen ausgeliefert. Es liegt in unserer Verantwortung, sie vor Überforderung zu schützen und ihnen nicht zu viel zuzumuten.

(Inga Jung, März 2017)

Von wahren Helden

 

Gerade jetzt zur Zeit der Fußball-EM wird mir mal wieder bewusst, wie unterschiedlich doch die Definition des Wortes „Held“ oder „Vorbild“ für uns Menschen ist. Mir würde es niemals in den Sinn kommen, einen Fußballer als Helden zu feiern, im Gegenteil. Ich finde es ziemlich affig, dass erwachsene Menschen schwitzend über eine Wiese rennen, alle Nase lang über ihre eigenen Füße stolpern und dann auch noch jammern und schreien wie Kleinkinder und dem Schiedsrichter das alte Lied des „er hat aber angefangen“ erzählen. Als ob sie nicht schon im Kindergarten die Erfahrung gemacht hätten, dass das nicht zieht. Aber gut. Wenn man so was mag, ist es bestimmt eine tolle Sache, auch wenn ich es wohl nie verstehen werde.

Für mich sind die wahren Helden nicht die Berühmtheiten aus Radio und Fernsehen, sondern die ganz normalen Menschen, die im Alltag Ungerechtigkeiten erkennen und zu beseitigen versuchen. Die Menschen, die mit offenen Augen durch die Welt laufen und nicht schweigend wegsehen, wenn sie wahrnehmen, dass etwas falsch läuft, sondern den Mund aufmachen. Die sich trauen unbequem zu sein und nicht immer den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen. Die aufklären und andere ermuntern, ebenfalls etwas zu tun, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen.

Zum Beispiel sah jemand, den ich gut kenne, im letzten Sommer vor einer Bäckerei einen stark hechelnden großen Hund in der Sonne sitzen, während dessen menschlicher Begleiter schön im Schatten saß und in aller Ruhe ein Stück Kuchen verdrückte. Statt einfach wegzusehen oder sich still zu ärgern ging mein ganz persönlicher Held schnurstracks in die Bäckerei und machte dort eine Riesenszene, wie es denn sein könne, dass der Hund dort in der Sonne sitzen muss und noch niemand wenigstens auf die Idee gekommen ist, ihm eine Schüssel mit Wasser hinzustellen. Man schaute ihn zwar an, als sei er verrückt geworden, aber der Hund bekam sein Wasser, das er auch gierig trank. Und seit diesem Tag stand immer eine Schüssel mit Wasser vor dem Eingang der Bäckerei. Neulich habe ich mit einem Lächeln wahrgenommen, dass jetzt sogar zwei richtige Hundenäpfe angeschafft wurden, die stets mit Wasser gefüllt sind. Die alte Plastikschüssel hat ausgedient. Das mag eine Kleinigkeit sein, aber für diesen Hund war es in dem Moment eine unheimliche Erleichterung. Und das Wichtigste ist, dass sich die Wahrnehmung der Menschen verändert hat und ihnen die Bedürfnisse eines zuvor unbeachteten Tieres bewusst wurden.

Es ist auch nicht immer einfach, in einer Gruppe von Menschen, die sich alle einig sind, einen gegensätzlichen Standpunkt offen zu äußern und zu vertreten. Wenn sich beispielsweise alle Arbeitskollegen darüber unterhalten, wie toll es ist, dass Wurst und Fleisch in einem bestimmten Discounter superbillig angeboten werden, dann gehört schon Mut dazu, in die begeisterte Diskussion die Frage einzuwerfen, ob sie sich denn auch im Klaren darüber seien, was sie da kaufen. Wie qualvoll das Leben der Tiere gewesen sein muss, wenn ihre Haltung so wenig Geld gekostet hat, dass ihre toten Überreste nun zu solchen Preisen verkauft werden können. Die Menschen, die billiges Fleisch wollen, mögen es in der Regel gar nicht, wenn man ihnen vor Augen hält, dass sie durch den Kauf dieser Produkte die Mitverantwortung für unfassbares Leid tragen. Sie wollen das nicht hören. Wer die Auseinandersetzung trotzdem nicht scheut und sich auf die Diskussion einlässt, der ist in meinen Augen ein echter Held.

Als Held ist man nicht immer beliebt. Man darf keine Angst davor haben, dass Menschen unfreundlich reagieren könnten. Werden sie aggressiv, muss man sich beherrschen und sachlich bleiben. Die Menschen hören auf nachzudenken, wenn ihre Emotionen hochkochen. Leute zu verärgern ist daher nicht zielführend. Man muss die nötige Ruhe haben, um eine Diskussion auf freundliche Weise führen zu können. Sogar wenn man jemanden davon abzubringen versucht, seinen Hund zu misshandeln und man das unbändige Bedürfnis hat, diesem Menschen das Gleiche anzutun, was er gerade mit seinem Hund gemacht hat, darf man sich nicht dazu hinreißen lassen. Aggression erzeugt nur Gegenaggression, und das führt niemals zu einer Besserung.

Tja, niemand hat je behauptet, es wäre einfach, ein Held zu sein.

Meine Helden sind Helden des Alltags. Menschen, die sich etwas trauen. Die nicht wegsehen, wenn Lebewesen, die nicht für sich selbst sprechen können, ein Leid geschieht. Die sich für Schwächere einsetzen. Meine Helden sind friedlich und genau deshalb sind sie besonders mutig. Sehr viel mutiger als jemand, der sich mit Gewalt durchzusetzen versucht. Draufhauen kann jeder, das erfordert weder Mut noch Hirn. Wer aber die Augen der Menschen öffnen und Mitgefühl mit anderen hervorrufen möchte, der braucht sowohl Mut als auch die richtigen Worte, oder, um es kurz zu sagen, den Stoff, aus dem Helden sind.

(Inga Jung, Juni 2016)

 

Buchtipp: „Leben mit Hunden – gewusst wie!“

 

Lange Zeit habe ich auf ein Buch gewartet, das umfassend und allgemein auf das Leben mit Hunden und die Beziehung zwischen Mensch und Hund eingeht und dabei sowohl den aktuellen Stand der Wissenschaft als auch moderne Erziehungsmethoden berücksichtigt. Ein Buch, das mit alten Hüten wie Dominanz-, Rudel- und Rangordnungsmodellen aufräumt und zeigt, wie ein partnerschaftliches Zusammenleben von Mensch und Hund heutzutage funktionieren kann. Im April 2014 ist es endlich im Kynos Verlag erschienen: „Leben mit Hunden – gewusst wie!“

Leben mit Hunden

Das Buch wurde von einem Kollektiv verschiedener Autorinnen und Autoren aus dem deutschsprachigen Raum verfasst, die sich dem auf Lob und positiver Verstärkung basierenden Hundetraining verschrieben haben. Viele von ihnen kenne ich persönlich von gemeinsam besuchten Fortbildungen, denn ihnen allen ist Weiterbildung ein wichtiges Anliegen. Ohne die neuesten Erkenntnisse der Verhaltensforschung würde Hundetraining auf der Stelle treten, Trainer könnten sich nicht weiterentwickeln. Trainer, die keine Fortbildungen besuchen, sind hier lebendige – und warnende – Beispiele. Die ständige Vertiefung seines Wissens und Erweiterung seines Horizonts sind absolute Notwendigkeiten für einen Hundetrainer. Und ebenso wichtig ist es, dieses Wissen an die Hundebesitzer weiterzugeben. Dieses Buch ist ein wunderbarer erster Schritt, auch für Hundeanfänger, dem Thema näherzukommen.

Natürlich ist es nicht möglich, auf nur 180 Seiten alles Wissen über das Leben mit Hunden zu versammeln. Dass die Autorinnen und Autoren diese Herausforderung dennoch angenommen und versucht haben, kurz und knapp, aber doch aussagekräftig, einen Überblick zu schaffen, verdient Respekt. Ich selbst traue mich nicht, ein so umfassendes Thema in so einer engen Verpackung darzustellen, denn ich wäre mit dem Ergebnis niemals zufrieden. Es würden zu viele wichtige Aspekte fehlen. Aber wir brauchen ein solches Übersichtswerk, das leicht zu lesen ist, einen ersten Einblick verschafft und Lust darauf macht, tiefer in die Materie einzusteigen.

Vielen Dank an den Herausgeber Stefan Wittenfeld und all Autorinnen und Autoren für dieses Buch. Es hat vor seinem Erscheinen viel zu lange in meinem Regal gefehlt.

(Inga Jung, März 2016)

Die Sache mit der Freiheit

 

Freiheit – jeder wünscht sie sich und seinen Tieren. Freiheit ist etwas Wundervolles, sie ist unser höchstes Gut. Die Freiheit des Einen darf aber nicht die Freiheit des Anderen einschränken. Wir sind schließlich nicht allein auf der Welt, und Rücksichtnahme gehört einfach dazu. In Bezug auf uns Hundehalter bedeutet das in erster Linie, dass unser Hund keine anderen Lebewesen – seien es Menschen, andere Hunde oder auch Wild-, Haus- und Weidetiere – belästigen oder gar gefährden darf.

Das sagt sich so einfach, aber es beinhaltet doch eine Menge Voraussicht und Verantwortungsbewusstsein, unterwegs mit einem freiheitsliebenden Hund schnell genug reagieren zu können, um den Hund auch wirklich zu jeder Zeit unter Kontrolle zu haben, wenn das denn nötig ist. Denn wenn er den rennenden Hasen vor der Nase hat, ist es meist eh zu spät, um noch zu rufen. Man muss die Gegend schon so genau im Auge haben, dass man den Hasen vor dem Hund sieht, sonst hat man keine Chance.

Dennoch sind Freiheit und hier insbesondere die freie Bewegung innerhalb gewisser Grenzen und die Möglichkeit, auch mal „der Nase nach“ zu laufen enorm wichtig für das Wohlbefinden unserer Hunde. Dabei ist eine 20-Meter-Leine für einen Hund, der eine sehr starke Jagdleidenschaft hat, auch schon Freiheit. Denn diese Leine gibt ihm einerseits genug Freiraum, sich in einem bestimmten Radius um seinen Menschen herum auszuleben (weiter als 20 Meter sollte sich ohnehin kein Hund auf dem Spaziergang von seinem Menschen entfernen), aber andererseits gibt die Leine den Wildtieren der Gegend wieder Sicherheit, was ja mindestens ebenso wichtig ist wie das Wohlbefinden unseres Hundes.

Ganz und gar nicht lustig sind die Empfehlungen mancher Hundetrainer, der Hund solle grundsätzlich auf jedem Spaziergang neben oder hinter seinem Menschen laufen und sich diesem die ganze Zeit anpassen. Schnüffeln und Markieren sind natürlich nicht erlaubt, denn der Hund hat sich nach seinem Menschen zu richten, der das auch nicht tut.

Meine ehrliche Meinung dazu: Solche Spaziergänge kann man sich dann auch komplett sparen, denn der Hund hat davon gar nichts. Das ist, als ginge man mit einem Kind in einen reich gefüllten Spielzeugwarenladen, aber es darf nichts anfassen und bekommt auch kein Spielzeug geschenkt. Es darf nur von weitem all die schönen Dinge angucken, die es nicht haben darf. Was baut man durch so ein Verhalten auf? Doch nichts als Frustration und Enttäuschung.

Für einen Hund ist auf dem Spaziergang nicht die Bewegung das Wichtigste, sondern die Wahrnehmung der Gerüche und Geräusche. Derselbe Weg, den er morgens schon gelaufen ist, kann am Nachmittag ganz anders riechen. Er ist immer wieder aufs Neue interessant, denn in der Zwischenzeit sind vielleicht Katzen, Wildtiere oder der Rüde von gegenüber dort entlang gelaufen und haben ihre Spuren hinterlassen.

Ein gesunder, angstfreier, lebenslustiger Hund ist neugierig. Er will seine Umgebung erkunden und dafür läuft er kreuz und quer über den Weg, er läuft vorweg, bleibt stehen, fällt zurück, holt uns wieder ein usw. Er ist in Bewegung und das nicht linear, sondern oftmals eben schlicht „immer der Nase nach“. Das ist Normalverhalten. Kein Hund ist dominant, weil er vorweglaufen will, er ist einfach neugierig und will als Erster wissen, was dieser spannende Spaziergang zu bieten hat.

Diese Freiheit sollten wir ihm auch geben. Aber eben nur solange er die Freiheit Anderer nicht einengt. Das heißt: Kommt uns ein uns fremder angeleinter Hund entgegen, nehmen wir sofort unseren Hund an die Leine. Das gehört sich einfach so, und da gibt es auch nichts zu diskutieren. Wird diese einfache und klare Höflichkeitsregel endlich mal von allen berücksichtigt, dann würden sich zahlreiche angespannte Gespräche unter Hundehaltern nach dem Motto: „Meiner tut nichts!“ – „Schön für Sie, meiner aber schon …!“ erübrigen.

Ebenso nehmen wir unseren Hund – insofern das gut klappt, andernfalls hat man ja auch noch eine Leine – zumindest bei Fuß, wenn uns Jogger, Radfahrer oder andere Freizeitsportler entgegenkommen.

Wenn unser Hund jagt, müssen wir aufpassen, dass er keine anderen Tiere belästigt oder gar hetzt. Das gehört zu unserer Aufsichtspflicht, die wir übernommen haben. Und besonders schwer ist das auch nicht, denn dafür wurden schließlich Hundeleinen in allen möglichen Längen für sämtliche Gelegenheiten erfunden. Trägt der Hund ein gut sitzendes Geschirr, dann gewöhnt er sich sehr schnell an die lange Leine und nimmt diese überhaupt nicht mehr als störend wahr, und entspannte Spaziergänge mit vielen Schnüffeleinheiten sind wieder gesichert. Parallel dazu kann man ja trotzdem ein positiv aufgebautes Antijagdtraining beginnen, um den Hund vielleicht irgendwann einmal ganz frei laufen lassen zu können.

Freiheit ohne Rücksicht auf Verluste ist keine Freiheit, sondern Egoismus. Und oft schadet man dadurch sogar dem Hund, denn so mancher Hund, der von seinem Menschen zu viel Freiheit bekam, wurde am Ende durch Maulkorb- und Leinenzwang bestraft, weil er einen ängstlichen Menschen bedrängt und angesprungen hatte. Rücksichtnahme auf Andere ist wichtig, und man darf natürlich nicht vom Hund erwarten, dass er selbst auf die Idee kommt, sich vorbildlich zu verhalten. Die Verantwortung für das Verhalten unserer Hunde liegt einzig und allein bei uns.

(Inga Jung, September 2015)

Aktion „Gelber Hund“

 

Seit etwa drei Jahren gibt es sie nun schon, die Aktion „Gelber Hund“. Die Idee dahinter ist, einen Hund, der mehr Abstand zu anderen Hunden braucht, durch eine gelbe Schleife oder ein gelbes Halstuch zu kennzeichnen, damit schon von weitem erkennbar ist, dass dieser Hund gerade keinen direkten Hundekontakt möchte.

Die Gründe können vielfältig sein: zum Beispiel ist der Hund durch eine Operation, eine Krankheit oder das Alter geschwächt oder hat Schmerzen und möchte deshalb nicht von anderen Hunden angerempelt werden – auch nicht auf freundlich gemeinte Weise.

Es könnte auch eine läufige Hündin sein oder ein Hund, der insgesamt eine große Individualdistanz hat und direkten Kontakt zu anderen Hunden nicht besonders schätzt. Oder der Hund hat schlechte Erfahrungen gemacht oder ist ungenügend sozialisiert und reagiert daher aus Unsicherheit aggressiv auf andere Hunde. Oder er hat eine ansteckende Krankheit.

Es ist ja eigentlich auch völlig egal, aus welchem Grund ein Hund Distanz zu anderen, ihm fremden Hunden braucht. Niemand sollte sich deswegen rechtfertigen müssen. Es ist eben so wie es ist. Die gelbe Farbe soll signalisieren, dass dem so ist und dass entgegenkommende Hunde bitte angeleint und auf Abstand gehalten werden sollten.

Ich finde diese Idee ganz wunderbar. Nur bezweifle ich, dass sie viel nützen wird. Denn die Realität sieht doch leider so aus:

Ich bin mit meiner Hündin, die ganz und gar keinen Wert auf direkten Kontakt zu fremden Artgenossen legt, unterwegs und mir kommt eine Hundehalterin mit ihrem freilaufenden Hund entgegen. Ich nehme meine Hündin an die Leine. Eigentlich sollte das allein vollkommen ausreichen, damit die mir entgegenkommende Person ihren Hund ebenfalls ohne große Umschweife anleint. Aber nein, keine Reaktion.

Ich suche nach einer Einbuchtung oder einem kleinen Trampelpfad, auf den ich ausweichen könnte, um nicht direkt auf den anderen Hund zuzusteuern, denn das würde meine Hündin bereits als Provokation deuten. Da ist leider nichts zu sehen, also drücke ich mich so weit es geht mit meinem Hund ins Gebüsch, lasse ihn sich setzen und schirme ihn mit meinen Beinen ab, um ihm Distanz zu dem hoffentlich gleich anstandslos vorbeigehenden Hund zu schaffen. Die mir entgegenkommende Hundebesitzerin zeigt immer noch null Reaktion.

Da sie nun schon recht nah ist, rufe ich ihr höflich entgegen: „Nehmen Sie bitte Ihren Hund an die Leine?“ Natürlich kommt prompt die patzige Antwort: „Wieso denn?“

Naja, inzwischen ist es eh zu spät. Der Hund hat uns entdeckt und kommt direkt auf mich und meine Hündin zu gerannt. Die Frau versucht halbherzig, ihn zu rufen, aber jetzt hört er natürlich nicht mehr. Er bleibt einen Zentimeter vor der Nase meiner Hündin stehen. Und meine Hündin rastet selbstverständlich völlig aus, angesichts dieser dreist direkten, viel zu schnellen, viel zu nahen und überhaupt in ihren Augen aggressiven Annäherung.

Ich weiß nicht, wie oft uns exakt diese Begegnung schon widerfahren ist. Ich kann es gar nicht mehr zählen, es war schon viel zu oft. Und jedes Mal ist ein Mal zu viel, denn es ist einfach nur unnötig und frustrierend für mich und meine Hündin, und dem anderen Hund tut der Schreck auch nicht wirklich gut.

Ich fürchte, wenn die Menschen schon auf die geballte Ladung körpersprachlicher Zeichen und eindeutiger sprachlicher Hinweise absolut keine Reaktion zeigen, dann wird so eine gelbe Schleife auch nicht viel nützen. Wenn man Pech hat, kommen sie dann erst recht mitsamt ihrer freilaufenden Hunde dicht heran, um einen zu fragen, warum der Hund denn so hübsch dekoriert ist. „Hat der Geburtstag? Komm, Bello, wir gehen da mal hallo sagen.“

Nein, meine Hündin möchte Bello nicht „hallo“ sagen. Meine Hündin möchte Bello viel eher „verschwinde aus meinem Revier und lass dich hier nie wieder blicken“ sagen.

Nicht jeder Hund ist so gesellig wie Bello. Nicht jeder Hund legt viel Wert auf Hundebekanntschaften. Manche Hunde sind froh, wenn andere sie einfach in Ruhe lassen. Aber es gibt leider Menschen, die das nie begreifen werden, und gegen die wird auch eine gelbe Schleife nichts ausrichten können. Ausprobieren kann das aber natürlich jeder gern. Vielleicht spricht es sich eines Tages wirklich so weit herum, dass auch Bellos Frauchen es begreift.

(Inga Jung, August 2015)

 

Rücksichtnahme

Wer im Oktober 2012 auf einem meiner Vorträge war oder aber wer mein Buch über den Australian Shepherd gelesen hat, der weiß, dass mir ein Thema sehr am Herzen liegt: das rücksichtsvolle Verhalten von Hundebesitzern in der Öffentlichkeit.

Wir haben die großartige Chance, durch unser Verhalten den Menschen, die keine Hunde mögen oder Angst vor Hunden haben, zu zeigen, dass wir verantwortungsbewusst handeln und Rücksicht nehmen.

Hin und wieder kommen Hundebesitzer zu mir mit der Frage, wie sie ihrem Hund abgewöhnen können, draußen immer an fremden Menschen hochzuspringen. Das ist in meinen Augen eine Frage, die komplett überflüssig ist, denn wenn man als Hundebesitzer seiner Aufsichtspflicht nachkommt, dann nimmt man seinen Hund sowieso bei Fuß oder an die Leine, wenn einem Spaziergänger, Jogger, Radfahrer oder andere Freizeitsportler entgegenkommen. Tut man das, dann hat der Hund gar keine Gelegenheit auf die Idee zu kommen, diese Leute anzuspringen, und damit erübrigt sich das Problem.

Auch für Hundeauslaufgebiete gilt die Vorschrift, dass dort freilaufende Hunde jederzeit unter der Kontrolle ihrer Besitzer sein müssen. Nur weil ich mich in einem Hundeauslaufgebiet befinde, heißt das keineswegs, dass sich jeder Spaziergänger, der dort hindurchläuft, von meinem Hund belästigen lassen muss. Leider scheinen das viele Hundebesitzer nicht zu wissen, denn ich hörte schon öfter von Hundebesitzern Kommentare wie „wer hier joggt, ist selber schuld, das ist Hundezone“, „der tut doch nichts, die sollen sich nicht so anstellen“ oder gar „ich bin doch haftpflichtversichert, falls einer über meinen Hund stolpert“.

So zu denken ist schlicht verantwortungslos. Es geht ja nicht nur um finanzielle Konsequenzen. Es geht darum, dass wir in einer menschlichen Gesellschaft leben, in der auch Nichthundehalter das Recht auf Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse haben und in der Lage sein sollten, gefahrlos ein Hundeauslaufgebiet zu durchqueren.

Auch Hunde, die sich eigentlich nicht für fremde Menschen interessieren und an Passanten vorbeilaufen, können plötzlich auf der anderen Seite des Weges etwas Interessantes riechen und dann auf einmal direkt vor dem nahenden Radfahrer den Weg kreuzen, und schon ist das Unglück passiert. Es sind eben Hunde, und Hunde sind nicht immer berechenbar.

Daher ist es immer eine gute Idee, seinen Hund zu sich zu rufen, wenn einem auf dem Spaziergang fremde Menschen oder Reiter oder auch Menschen mit angeleinten Hunden entgegenkommen. Nur durch rücksichtsvolles Verhalten werden wir weiteren Verboten und schärferen Hundegesetzen vorbeugen können, denn nur dann wird es irgendwann niemanden mehr geben, der Grund hat, sich über unsere Hunde zu beschweren.

Und ganz nebenbei haben eure Hunde auch Spaß daran, wenn sie auf dem Spaziergang ab und zu mal gerufen – und fürs Kommen natürlich gelobt – werden. Das bringt Abwechslung in die Gassirunde und steigert die Kooperationsbereitschaft eurer Hunde auch draußen, unter Ablenkung.

(Inga Jung, erstmals veröffentlicht im Newsletter März 2013)